Steinbrücks letzter Auftritt?

"Am Morgen danach erst einmal ausschlafen!"

Persönliche Anmerkungen von Christian Fürst

"Daumen hoch" statt Stinkefinger. Peer Steinbrück gab sich bei seinem letzten Wahlkampfauftritt in Hamburg noch betont optimistisch

 

Peer Steinbrück bleibt uns auch nach seiner schweren Wahlniederlage erhalten. Er will noch immer nicht in eine Koalition mit Frau Merkel eintreten (wer kann ihm das verübeln!), soll aber weiter eine wichtige Rolle in seiner Partei spielen, verlautete noch am Wahlabend. Und inzwischen hat er wohl seine Meinung geändert und ist Mitglied in dem Team, das mit Merkel über eine schwarz-rote Koalition verhandeln soll. Was danach für ihn kommt, weiß vermutlich nur Steinbrück selbst, denn Minister "unter" Merkel will er weiterhin nicht werden.

Wer den Politiker bei einem seiner Wahlkampfauftritte kurz vor dem Wahltag miterlebt hat, der wird meine Sympathie für diesen kompetenten Politiker verstehen. Nicht zuletzt wegen zahllosen Verunglimpfungen, denen der Sozialdemokrat seit der Bekanngabe seiner Kanzlerkanidatur Ende 2012 ausgesetzt war.

 

  

Giovanni di Lorenzo, seines Zeichens Chefredakteur der ehrenwerten, bürgerlichen "Die Zeit", sprach es noch am Wahlabend aus: Niemand sei während des Wahlkampfs von den Medien so unfair behandelt worden, wie Peer Steinbrück. Recht hat er! Wer das Steinbrück-Titelbild des Hetz-Magazins "Focus" vor Augen hat, mit dem der einst gefeierte Hamburger SPD-Mann am Tag nach seiner Nominierung im Stil des einstigen Nazi-Kampfblatts "Stürmer" als Blut-triefender, KO-geschlagener Boxer dargestellt wurde, wer sich außerdem an die nur äußerlich um Fairness bemühten Beiträge des "Spiegel" und von "Spiegel-Online" zu Steinbrücks Honorar-"Affaire" erinnert, und wer schließlich an die inquisitorischen Interviews von ZDF und ARD-Moderatoren denkt, mit denen Steinbrück in den ersten Monaten seiner Kandidatur wegen seiner persönlichen Vorliebe für gute Rotweine zermürbt wurde, der konnte nur Sympathien für den SPD-Mann empfinden. Doch nicht einmal die Politologen und Wahlforscher, die eigentlich um Objektivität hätten bemüht sein sollen, versuchten sich in diesen Monaten in Distanz. Noch am Wahlabend analysierten sie, Steinbrücks Kandidatur sei DER SPD-Fehler gewesen. Dass er möglicherweise Opfer einer sehr gezielten Rufmord-Kampagne wurde, erwähnte und berücksichtigte keiner. Und die beteiligten Journalisten sind sich vermutlich sowieso keiner Schuld bewusst. Die siegreiche CDU, angeführt von einer Frau, die ihren einstigen Partner auf der Regierungsbank monatelang tot-schwieg und seine Europa-Unzuverlässigkeit kritisierte, schwieg zu den Diffamierungen.

Ich war drei Tage vor der Wahl auf Steinbrücks letztem Auftritt in Hamburg und habe dort seinen gelösten, entspannten und selbstbewussten Auftritt erlebt und fotografiert.

 

  

Für Journalisten und Taubstumme wurde gesorgt

Die Organisatoren der Veranstaltungen hatten für alles gesorgt. Auch für "Dolmetscher" für Gehörlose

 

Politischer Kronprinz? Olaf Scholz, bisher erfolgreicher Hamburger Erster Bürgermeister, will davon nichts wissen

 

Die Wahlkampfregie der drei großen Parteien im Bundestag hätte kaum spannender sein können. Am Dienstag, dem 18. September kamen Kanzlerin Merkel, Kanzler-Kandidat Steinbrück und der durch die Pädophilen-Affaire belastete Grünen-Fraktionschef Trittin nach Hamburg, um in Deutschlands zweitgrößter Stadt  noch einmal potenzielle Wähler zu mobilisieren. Doch die Strippenzieher hinter der Kampagne verhinderten, dass sich interessierte Bürger bei allen drei Kandidaten "umsehen" konnten. Denn alle Veranstaltungen fanden zur selben Stunde statt, und so blieben die Schwarzen ebenso weitgehend unter sich, wie die Roten oder die Grünen. Peer Steinbrück, gebürtiger Hamburger, der seine Herkunft schon angesichts seines breiten "Akzents" kaum verleugnen kann, hatte sich das Zentrum ausgesucht, wo Hamburg vor Jahrhunderten gegründet worden war. Merkel tagte in der Fischauktionshalle am Hafen, und Trittin redete im Stadtpark.

Und alle hatten für die nötige Unterhaltung gesorgt: Musik (bei Steinbrück Dixieland-Sound mit einem schmissigen Blasorchester) gehörte ebenso dazu, wie obligatorische Würstchen, Bier und andere Getränke. Selbst Taubstumme Gäste wurden betreut und konnten der Veranstaltung über einen Dolmetscher folgen.

 

Heimspiel: "Peerle" Im Norden geliebt

Einzug der Gladiatoren zu fetziger Musik! Steinbrück und Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz wurden von den anwesenden Zuhörern gefeiert.

 

"Erst einmal ausschlafen und dann mit meiner  Frau frühstücken"! Das kündigte Steinbrück für den Tag NACH der kommenden Bundestagswahl an.

Für einen Hamburger, noch dazu einen, der von Helmut Schmidt, dem "Ortsheiligen" der Hamburger SPD als Kanzler empfohlen wurde, ist eine Wahlkampfveranstaltung unter Genossen in der Heimat eigentlich ein Heimspiel. Und so genoss der Genosse "Peerle", wie er auf vorbereiteten Flyern der SPD liebevoll genannt wurde, seinen Auftritt. Hier, im Hamburger Stadtzzentrum, flogen ihm die Sympathien zu; und der Kandidat, der sich in anderen Landesteilen immer wieder vor Journalisten verteidigen musste, konnte in der Hansestadt mit Anekdoten glänzen, seine Konkurrentin ein wenig lächerlich machen, und seine Vorstellungen von Politik ungestört ausbreiten. Unbequeme Fragen gab es nicht, und so meinte Steinbrück am Ende auf die Frage, was er denn am Tage nach der Wahl zu tun gedenke: "Ich werde erst einmal ausschlafen und dann mit meiner Frau frühstücken".

 

 

copyright Christian Fürst, 2013

 

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