Woche 46 Feengesang

 Geister des Wassers

Die Gruppe "Ganes" - Ladiniens beste Botschafterinnen

Eindrücke von einem Hamburger Konzert

 

 Maria Moling                            Elisabeth Schuen                                Marlene Schuen 

Sie singen nicht - sie betören. Ihre Stimmen scheinen aus einer anderen Welt zu kommen. Ihre Musik ist nicht festlegbar, modern und doch verwurzelt in vielen Kulturen. Der eigenen, der ladinischen zuallererst. Bei geschlossenen Augen läßt sich eine musikalische Reise machen, die in den Dolomiten beginnen mag, über Nordafrika nach Südamerika führt, einen Abstecher ins jazzige Nordamerika macht, zart einschmeichelnd, druckvoll rhytmisch, laut und leise, frech und verführerisch.  Seit einigen Monaten übertreffen sich Journalisten und Redakteure in den deutschen Medien mit Lobpreisungen dreier junger Frauen, die aus einer Weltgegend kommen, die vielen Besuchern der Dolomiten wohl bekannt ist. Dort, wo es am schönsten ist, um den imposanten Gebirgsstock der Sella herum, verteilt auf die Provinzen Südtirol, Trentino und Belluno wird eine Sprache gesprochen, deren Wurzeln weit zurückreichen bis in die Zeiten, als das Reich Roms zusammenbrach. Vielen Durchreisenden und auch Touristen fällt nur auf, dass hier  neben italienischen und deutschen auch Hinweisschilder in einer fremd anmutenden Sprache zu finden sind.

           

Es ist Ladinisch, fortentwickeltes Volkslatein, ein Dialekt der verwandt ist mit dem Rätoromanischen in Graubünden und Furlan in Friaul.  Nun könnte es sein, dass diese fast unbekannte Sprachengemeinschaft einen Bekanntheitsgrad erfährt, den ihr wohl kaum jemand zugetraut hätte. Positiv verantwortlich dafür sind diese drei jungen Frauen: Maria Moling und ihre Cousinen, die Schwestern Elisabeth und Marlene Schuen.

           
  

 Ihr Dorf ist mit etwa eintausendreihundert Seelen klein zu nennen.  La Val heißt es auf Ladinisch, nicht leicht oder auch gar nicht zu finden auf Land- und Straßenkarten. Die Suche nach "La Valle" oder "Wengen" führt leichter zum Ziel. Zu Füßen der mächtigen Kreuzkofelgruppe  werden noch Sagen und Märchen gepflegt und gesponnen von Geistern, die aus dem Wasser steigen - gutmütig zwar aber auch bereit, schelmisch  zuzupacken so es die Situation erfordert. Ganes heißen Wasserhexen, Feen und Nixen, und Ganes nennt sich die Gruppe, die von den drei Frauen gegründet wurde, die seit ihrer Jugend gemeinsam musizieren. Musik haben sie auch studiert - und das hört man.   

 

Wer die Prinzenbar auf Sankt Pauli sucht, muss den Hintereingang zur Reeperbahn benutzen. Von der Davidswache aus steigt die Strasse leicht an. Rechts finden sich in zumeist friedlicher Koabitation so unterschiedliche Etablissements wie der Traditionsitaliener "Cuneo" und hinter einem Eisentor die Liegemöglichkeiten für Vertreterinnen des ältesten Gewerbes und ihre Freier. Von links mündet die Kastanienallee ein, eine Strasse, die ihren schönen Namen ebenso wenig zu Recht trägt wie die Häuser einladend sind. Am Montag, dem 12ten November baut sich vor der Prinzenbar bereits lange vor dem offiziellen Einlasstermin eine Menschenschlange auf - trotz nicht sonderlich freundlichen Wetters und eher abweisendem Ambiente gut gelaunt in Vorfreude auf das Konzert mit "Ganes". Eine Freude, die sich voll erfüllen wird.

 

        

Bereits eine halbe Stunde vor Konzertbeginn ist die Prinzenbar dann bereits ziemlich gut gefüllt - das heißt, es ist schon richtig eng geworden. Ein Kleinkind, kaum dem Babyalter entwachsen, wird von den Eltern zwischen die Eisenstäbe des Balkongeländers geklemmt - standfest gemacht sozusagen. Die Älteren holen sich Getränke, plaudern angeregt über den bevorstehenden Auftritt und wie sie von der Gruppe und ihrem Auftritt erfahren haben. Wieder andere bestaunen stumm das Ambiente, das mit Putten an den Wänden kaum an geschmacklicher Grausamkeit übertroffen werden kann. Und doch passt alles zusammen. Und dann geschieht so etwas wie ein Wunder: das Konzert beginnt pünktlich. Viel, richtig viel herzlicher Applaus des Publikums, das sich altersmäßig im guten oberen Mittelfeld bewegt.   


 

"Parores & Neores" -  "Worte & Wolken"

 

Wer "Ganes" vor dem Konzert nur gehört oder als Video gesehen hatte, der musste meinen, nicht drei, sondern alle Wassernixen Ladiniens und gesamt Südirols seien aufgetaucht, um in Hamburg Musik zu machen. Stücke des neuesten Doppalalbums "Parores & Neores", zunächst in ladinischer Sprache, in mitreißende Musik gehüllt und hinreißend dargeboten, schlugen Jeden und Jede sofort in Bann. Und wenn es sie nicht schon so lange gäbe- für diese Musik und diese Musikerinnen hätte Ladinisch spätestens im Jahre 2012 erfunden werden müssen. Hier gab es kein wenn und aber - nur drei Frauen und ihre musikalisch kongenial begleitenden drei Musiker, die auch den Stadtpark im Norden Hamburgs gefüllt hätten mit Spiel- und Gesangskunst vom Feinsten und  überbordendem Temperament, natürlichem Charme und großer tief verankerter Musikalität. Sie singen so harmonisch, dass man sich manches mal erst durchs Hinschauen davon überzeugen kann, dass nicht nur eine Frau, sondern drei gleichzeitig singen. Und wie bei Gesang und Spiel scheint es nicht nur in der reproduktiven, sondern auch in der kreativen Phase zuzugehen. Wenn man mit den jungen Frauen spricht, die sich völlig unaffektiert und unprätentiös gerieren, dann gewinnt man den Eindruck, vom Schreiben der Texte bis zur Musikfindung sei alles harmonisches Gemeinschaftswerk. Ihre Texte sind nicht banal aber auch nicht artifiziell, nicht hochtrabend. Sie spiegeln wieder, was junge Frauen in komplexen und manchmal komplizierten Gesellschaften empfinden. Hier ist, wie in ihrer Musik, nichts Beliebiges. Die Lieder handeln viel von der Liebe und von Männern, selbstgefälligen, aufgeblasenen aber auch denen, die geliebt werden voller Sehnsucht. Dann kann es ganz sensibel, lyrisch und zart zugehen. In solchen Passagen nähern sich die Textschreiberinnen aber durchaus auch kritischen Erscheinungen einer Gesellschaft, die ihre Werte nicht mehr findet. Erinnerungen an Zeiten der großen Cantautori werden dann wach. Sie seien nicht sonderlich politisch, meinen die Künstlerinnen, sind es aber doch, wenn auch sehr sublim. Intuitiv scheint dann die Musik hinzu zu fließen - nicht nach dem Motto: hier eine Prise Pop, dort eine Prise Jazz und zum Schluss noch einen Schuss Klassik. Es kommt beim Arbeiten - intuitiv, so oder so, meint eine der Schwestern und man glaubt ihr. Das Publikum in Deutschland, so die Musikerinnen im Gespräch mit NewsAndMore-Mediaservice vor dem Konzert, sei ihrer Musik gegenüber ganz besonders aufgeschlossen. Das scheint so zu stimmen, wenn man die Stimmung in der Prinzenbar als repräsentativ nehmen darf. 

          

Eine Frage bleibt nach diesem grandiosen Konzert: War es Traum oder Wirklichkeit?

 

FOR EVA 

ince tl liber plü sant
él düc ch`é gnüs cherià denant
tan burt da savëi
fora de `n custëi
bel dî, dimo ciudî
en pü`plü d`atenziun pudoste ti dè
y la fa fora de na risa o de n`orchidea

for eva, for eva, for eva...

te vistes y te ascognes cun jlairi y pezed
pur n`ingelosí nia to ël da mile fomenes
y tla televijiun
te cures cun dui poms y na föia
ai ëi de vigni eté ti fejes gní gran vöia

l`pom aste mangé cun me l`pom aste mangé cun me...

pur vos ëi tulessun vigni dé
na pilura che cambia l`corp y l`cé
beles, löcres,tröpes y che s`lascia jí
y se fej vigni bria
mo canch`les maridëis massesseres ester santes maries

l`pom aste mangé cun me, l`pom aste mangé cun me...
y sce te mines che t`cumanes
i`n sta pa nia ma do les fanes
y sce la bisca s`à ingianè
l`pom aste mané cun me


FOR EVA

Auch im heiligsten Buch
ist jeder vor Dir geschaffen worden
schön ist es nicht zu wissen,
aus einer Rippe
lieber Gott, sag mir warum
hättest Du ihr nicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit geben können
und sie wenigstens aus einer Rose oder Orchidee machen können?

Du kleidest Dich und verhüllst Dich mit Schleiern und Tüchern
um Dein 1000-Frauenmann nicht eifersüchtig zu machen
und im Fernseher verdeckst Du Dich mit 2 Äpfeln und einem Blatt
Männer jeden Alters machst Du ganz lüstern

Den Apfel hast Du mit mir gegessen, den Apfel hast Du mit mir gegessen...

Für Euch, Männer würden wir jeden Tag eine Pille schlucken
die den Körper und den Kopf verändert
Schön, locker, freizügig, viele und die alles für Euch tun würden
aber wenn Ihr heiratet, sollten sie dann heilige Marias sein

Dein Apfel...
und wenn Du glaubst, dass Du bestimmst
ich bleib nicht nur hinter dem Herd
und wenn die Schlange uns reingelegt hat
haben wir den Apfel ja gemeinsam gegessen

 

Foto des neuesten Albums "Parores & Neores"

 anne de wolff hat das copyright an diesen wunderbaren Photographien

 

"Ganes" stellt sich im Internet vor:  http://www.ganes-music.com/index.php?c=0&l=de

Mehr über Ladinien und seine Menschen findet sich hier: http://www.gfbv.it/3dossier/ladin/ladin.pdf

Ein Buchtipp: Franz Tumler. Das Tal von Lausa und Duron. 1935 

 

 Text und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2012