Woche 44 Sterne Festival

Am fremden Herd - Sterne über der Ostsee

Harald Wohlfahrt beehrt das Gourmet-Festival

 Harald Wohlfahrt in der Küche der "Orangerie" im Hotel Maritim/Timmendorfer Strand

 

Es muss etwas ganz Besonders vorfallen, wenn Deutschlands Kochikone Harald Wohlfahrt seinen Herd in der Drei-Sterne Schmiede "Schwarzwaldstube" in Baiersbronn verläßt - und das für mehrere Tage. Ein Grund könnte die erneute Entgegennahme der höchsten Auszeichnung durch den Guide Michelin Mitte dieser Woche in Berlin sein. Drei Tage aber widmet sich der Ausnahmekoch bei seinem Kollegen Lutz Niemann am Ostseestrand um  "Pütt un Pann" aber auch die lernbegierige Brigade, die nur formal zwei Sterne unter seiner eigenen im Schwarzwald rangiert. Anlass ist das Schleswig-Holstein-Gourmet-Festival. Wo das Musikfestival in diesem Bundesland viele der größten Künstler der Zeit vereint, um in Scheune, Kirche oder Konzertsaal zu begeistern, ist das Gourmet-Festival Sammelbewegung für einige der herausragendsten Kochkünstler vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum - und der reicht bis nach Südtirol und dort nach Tisens zu  Anna Matscher. Die ehemalige Masseurin und Kochautodidaktin, hat es als einzige Frau Südtirols in die Sterneliga geschafft - wo sie seit Jahren etabliert ist - sehr zur Freude des Autors, der dort einkehrt so oft er kann. 

 

Highlight am 4ten November 2012 

 

Kurze Rippe vom heimischen Weiderind und gegrillter Entenleber an Trüffeljus

dazu

2010er Valpolicella Classico Superiore "Ripasso"  Viticoltori Tommasi, Veneto

 

Troika des Erfolgs

Lutz Niemann, Chefkoch "Orangerie" im Hotel Maritim (Michelin *)

Harald Wohlfahrt, Schwarzwaldstube Baiersbronn (Michelin ***)

Ralf Brönner, Restaurantleiter und Sommelier "Orangerie" im Hotel Maritim

      

An der Küste... 

In der Tourismuswerbung wird Schleswig-Holstein gerne als das Land zwischen den Meeren bezeichnet. Wenn sich ein Gourmet-Festival regionale Vielfalt ins Programm schreibt, der Veranstaltungsort quasi auf dem Strand der Ostsee positioniert ist - was liegt da näher, als einen Genussabend mit Meeresgetier zu eröffnen. Grandios in explodierender Aromenvielfalt bereits das Amuse Gueule: "Hummer Pannacotta" , gefolgt von einem raffinierten "Tatar vom Saibling mit seinem Kaviar und pochierter Sylter Royal Auster". Das sah enorm gut aus, hatte exzellente Konsistenz war jedoch von etwas spitzer Säure und die Austern von der anderen Meeresseite Schleswig-Holsteins waren wohl beim Pochieren etwas überstrapaziert worden, was ihnen die Lust auf Geschmack genommen hatte. Passend zum Amuse Gueule und zum Tatar ein 2011er Chablis aus dem Hause Joseph Drouhin, der es verstand, dem Tatar etwas die zitronige Säure zu kappen.

 

Auf der Karte war danach "Kartoffel Ravioli gefüllt mit Kalbsbries Bäckchen und Waldpilz-Kompott in Steinpilzschaum" angesagt. Warum aus dem Kalbsbries, einer delikaten Milchanhangdrüse, wie andernorts auch immer häufiger, unbedingt ein "Bäckchen" werden musste, kann nur spekuliert werden. Vielleicht soll es denen schmackhafter gemacht werden, die zu Innereien schon immer eine gewisse Distanz pflegten. Es sei gesagt: Das Bries war ganz exzellent in Geschmack und noch wichtiger in der Konsistent - woran es leider der Hauptdarsteller, der Kartoffel-Raviolo mangeln ließ - er war schlicht weich gekocht. Eine Überraschung gelang dem Sommelier mit der Wahl des 2011er Oberrotweiler Henkenberg, einer Grauburgunder Spätlese aus dem Keller des Freiherrn von Gleichenstein. Der Wein, der wohl eine angenehme Bekanntschaft mit einem Barrique gemacht hatte, zeigte sich trotz seiner Jugend bereits sehr gut ausgewogen und ausgeprägt stoffig,  hatte kräftige, sortentypische Frucht, feine milde Säure, guten Druck am Gaumen und stellte einen würdigen Nachfolger des Chablis dar. Etwas mehr filigrane Eleganz würde ihm sicherlich gut zu Gesichte stehen und ihn an die Spitze der Weine aus dieser Rebsorte heben. 

 

 

Kochkünstlerisch und geschmacklich voll überzeugend der "St. Petersfisch im dünnen Lauchmantel konfiert mit Rote Bete, Sellerie und Meerettich". Der Fisch war absolut perfekt. Die Geschmacksnerven pendelten zwischen den Säurenoten des Lauchs und der feinen, nie penetranten Schärfe des Meerrettich hin und her, mischten sich mit dem schwebenden Selleriearoma und ließen den Gang als Gesamtkunstwerk glänzen. Der 2011er Rheingraf Riesling aus dem Hause Prinz zu Salm-Salm zeigte nicht nur mit neuem Flaschenetikett, dass die adelige Jugend, die auf dem Schloss in Rheinhessen das Ruder übernimmt, neue Wege einschlagen will. Der Rheingraf Riesling, der eine angenehm niedrige alkoholische Gradation von 12 Volumen Prozent hat, erfüllte seine Aufgabe als Begleiter und Unterstützer sehr ordentlich. Kein großer Wein aber sehr sauber vinifizert. Er dürfte auch auf sich alleine gestellt eine recht gute Figur machen.

 

 

Von wenigen, ganz wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Fleisch- als Hauptgang oft das schwächste Element in der Abfolge eines Menüs. Nach brilliantem Amuse Gueule, aromareichen Gaumenfeuerwerken um Fisch, anderes Meeresgetier und feinste Geflügel scheint es oft, als würde Fleisch stiefmütterlich behandelt. Wo regionaltypische Küche angeboten wird, wie in Südtirol oder eben dem Schwarzwald scheint dies anders zu sein. Trotz des fantastischen Vorlaufs ließen alleine die zwei Zeilen in der Menükarte das Gourmet-Herz höher schlagen:

"Kurze Rippe vom Weide Rind und gegrillte Entenleber an Trüffeljus"

 

Es ist ein gutes Grundprinzip des Schleswig-Holstein-Gourmet-Festivals, ganz im Sinne von SlowFood, sich auf regionale Erzeuger zu besinnen. Und auch hier stammten die Fleischlieferanten quasi aus der Nachbarschaft. Was dann auf den Teller kam war von  absolut beispielloser Qualität. Die auch von der Presse mitgeförderte Euphorie um US-amerikanisches Beef oder japanisches Wagyu-Rind wird hier zu dem, was sie oft ist: zum Hype oder einfacher ausgedrückt zur Beutelschneiderei. Da sich aber auch das beste Fleisch und die beste Leber nicht von selbst brät oder grillt bedurfte es fast magischen Könnens, um ein Glanzlicht des Abends zu schaffen. Hier kommt erschmeckbar zu dem enormen Können und der Erfahrung eines Wohlfahrt und Niemann viel, nie nachlassende Begeisterung hinzu. Das Ergebnis ist mit Worten kaum zu umschreiben. Fleisch und Leber, umspielt mit dem Trüffeljus ließen sich mit der Zunge am Gaumen zerdrücken, um jedes Geschmacksmolekül zu finden und zu genießen - viel zu schade, als das man es in den Magen befördern sollte. Man möchte, ohne es hinterfragt zu haben, sagen - bei den Meisterköchen ist Liebe im Spiel, die sich immer wieder neu zu erfinden scheint. Dass die Kreation auf dem Teller auch ein Fest für die Augen ist - muss dies noch betont werden? Einem "2010er Valpolicella Classico Superiore "Ripasso" aus dem venetischen Hause Tommasi kam die nicht ganz leichte Aufgabe zu, weintechnisch Schritt zu halten. Berücksichtigt man die preisliche Gesamtkonstellation, so ist dem Sommelier eine gute Wahl gelungen. Der "Ripasso" ist vielleicht noch etwas zu jung gewesen und zu Lasten der Regionaltypizität von etwas internationalem Zuschnitt. Er war aber weich und rund und wußte seine schöne Frucht gut gegen die "festere" Nahrung einzusetzen. Privat oder bei nach oben offenem Budget hätte hier ein gereifter Amarone, wenn es schon ein Wein aus dem Valpolicella sein soll, ein Barolo oder auch Bordeaux noch klarer gezeigt, dass alles in der Champions League spielte.

Eine gläserne Küche und die freundlicherweise erteilte Fotogenehmigung erlaubten es, Harald Wohlfahrt bei der Arbeit mit dem Team und dem Hausherrn Lutz Niemann zuzusehen. Auch wenn kein Laut nach außen drang, so war doch festzustellen, dass die Kommunikation auf ein Minimum beschränkt war. Faszinierend, wie trotzdem scheinbar automatisch im rechten Moment jeder das richtige tat oder zu tun schien. Eine große Ernsthaftigkeit bestimmte die Arbeitsatmosphäre in der nicht sonderlich großen Küche. Selten, dass sich die Miene der Chefs aufhellte oder einem der Élèven gar ein Lächeln des großen Meisters zuteil wurde - was aber vorkam.

 

Schlusslicht - last not least

 

Desserts verkommen auch in besten Häusern manchmal zu Statisten oder zu Spielwiesen optischer Fantasien. Hauptsache süüüüß und schrill, was ein fataler Irrtum ist. Das Dessert ist ein eigenständiger, zumeist der letzte Gang eines Menüs und sollte als solcher ebenso respektiert werden wie die Gänge zuvor. Qualität der Zutaten, Kreativität, Konsistenz, geschmackliche Harmonie und zum Schluss noch einmal schöpferische Präsentation sollen ausgewogen sein und Gaumen, Auge und Herz erfreuen. Es ist der Gang, bei dem die Gedanken noch einmal zurückfliegen und alles Schöne Revue passieren lassen. In der Orangerie gelang alles aufs Feinste und das kleine Schauspiel war wie Zirkus unter den vier strahlenden Michelin-Sternen. Einen Überaschungsschluck aus vorherigen Zwischengängen hatte AP sich aufgehoben und war glücklich: Ein Glas Port. Jung zwar, sehr jung sogar, aber perfekt zum Fondant

 

Schokoladen-Fondant mit roten Früchten und Rotweincoulis.

Sicherlich fehlte es hier und da an dem besonderen Etwas, das die Sterne-Küche auszeichnet. Diese zu erwarten oder gar herbeizuwünschen hieße den Sinn eines Festivals gründlich falsch zu verstehen. Schließlich ist man nicht bei einer Weltmeisterschaft. Und so konnte nichts, aber auch gar nichts,  die vorzügliche Stimmung und den kulinarischen Gesamteindruck schmälern. Als fast sensationell bezeichne ich das Preis-Genuss-Verhältnis, das nach den Worten von Lutz Niemann ohne Sponsoren so nicht hätte umgesetzt werden können. Erstmals waren in diesem Jahr die Preise von den Organisatoren des Festivals in einem bestimmten Rahmen freigegeben worden. Die Verantwortlichen der "Orangerie" brachten es fertig, dieses Menü mit Champagner Lanson, allen Weinen, Tafelwasser, Grappa und Kaffee für 165,00 Euro anzubieten. Auch ohne dass insgesamt vier Sterne Hand angelegt hätten, kann dies als  sehr günstig bezeichnet werden.

  

Einen bittenden Rat möchte der Autor jedoch weiterreichen. Wenn man die Diskrepanz zwischen stilsicherer und höchst ästhetischer Präsentation auf den Tellern zu dem Ambiente dieses und leider vieler anderer sogenannter Gourmet-Tempel erdulden muss, dann kann man nur hoffen, dass die Küchenchefs die Rolle der Innenarchitekten mit übernehmen möchten. Und  das gilt für die "Orangerie" ebenso wie für die "Schwarzwaldstube". Lasst doch bitte eine neue Sachlichkeit walten und erfreut mit einem Ambiente, das sich auf Augenhöhe mit den Produkten aus der Küche befindet - zum Wohle des Genusses und der sinnlichen Erfahrung.

 

 

Hilfreiche und interessante Links:

zu Harald Wohlfahrt: http://www.dieschwarzwaldstube.de/

zum Hausherrn Lutz Niemann: http://www.lutz-niemann.com/

zum Gourmet-Festival: http://www.gourmetfestival.de/

zum Hotel "Maritim": http://www.orangerie-timmendorfer-strand.de/gastronomie/das-team.html

zum Gourmet-Festival: http://www.gourmetfestival.de/

 

AP dankt dem Restaurantleiter, Herrn Brönner, und der gesamten Equipe für die Geduld, die sie mit dem fotografierenden Gast hatten.

Sämtliche Aufnahmen wurden bei laufendem Restaurationsbetrieb ohne Kunstlicht gemacht. Die Gerichte wurden so fotografiert, wie sie serviert wurden.

 

Texte und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2012