Woche 23 - Altonale

Altonale 2012

Im vierzehnten Jahr

 

Frech und unkonventionell, frisch und manches mal durchaus provokant, nie jedoch langweilig präsentiert sich in diesem Jahr wieder die Altonale, "Norddeutschlands größtes Stadtteil- und Kulturfest." Wer beim Lesen des umfangreichen Programms den Eindruck hat, das Fest fände überwiegend im quirrligen Ottensen statt, der liegt nicht völlig falsch. Wie aber klänge "Ottensenale" ....

 

 

Nach einem Samstag, der geprägt war von einer solidarischen Aktion gegen Rechts auf dem Rathausmarkt von etwas zehntausend Bürgerinnen und Bürgern und Strassenkämpfen zwischen sogenannten Autonomen und der Polizei und einem völlig überflüssigen und unverhältinismäig harten Einsatz der Polizei gegen friedliche Teilnehmer an Sitzblockaden gegen den Umzug von Neonazis, verspürte Andreas Pawlouschek einen Drang nach Ruhe. Und so ließ er die Altonale auf der Elbe beginnen - mit zwei Dichterlesungen an Bord der "MS Commodore". Während es schien, als zögen an den Ufern Villen, Fabrikanlagen, kleine Häfen und riesige Containerschiffe vorbei, lasen unter Deck Judka Strittmatter und Katrin Seddig aus ihren Romanen. Strittmatter so, als würde sie die eigenen, gedruckten Sätze erstmals über die Lippen bringen, und Seddig in einem Tempo, das die fortgeschrittene Zeit anzuhalten versuchte - was nicht gelang. Beide Vortragsweisen förderten nicht immer eine gute Verständlichkeit. Doch auch hier machten es Inhalt und sprachliches Format. Beides war spannend.

Judka Strittmatter: "Die Schwestern"

 

            

Sie ist Jounrnalistin, und das offenbar sehr erfolgreich. Sie ist aber auch Enkelin eines der erfolgreichsten Schriftstellers der DDR, Erwin Strittmatter. Das ist kein leichtes Erbe. "Die  Schwestern" ist ihr Erstlingswerk als Roman. "Martha und Johanne Andruschat wollen gemeinsam ein paar Tage an der Ostsee verbringen. Dort haben sie als Schwestern eine lieblose Kindheit verbracht, die sie als Rivalinnen zurückließ. Am Ziel ihrer Reise werden sie mit einem Verrat konfrontiert, der über Nacht zum Zerwürfnis führt," heißt es im Programmheft der Altonale. Und viel davon kann man miterleben und mehr noch erahnen auf der Elbfahrt. Das Zerwürfnis der Schwestern allerdings, so gewinnt man den Eindruck beim Vortrag der Autorin, kam nicht von ungefähr. Vielmehr scheint, als hätten beide Frauen unterschwellig nie damit gerechnet, eine harmoniche Begegnung zu finden, sondern das Scheitern entweder bereits eingeplant oder aber sogar beabsichtigt, um sich in der Zuklunft auf keine zweite Begegnung einlassen zu müssen. Strittmatters Schreibweise ist von lang konstruierten Sätzen geprägt, die dabei so manches mal an Schwung verlieren. Immer wieder tauchen grandiose Bilder auf und Formulierungen, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Zum Beispiel dann, wenn von Arztbesuchen die Rede ist, von Medizinern, die eine der Schwestern betatschen und dabei gelangweilte Gesichter aufsetzen nach dem Motto "warum stehlen Sie uns die Zeit." Judka Strittmatters Buch ist vielleicht nicht unbedingt für Männer geschrieben, läßt es die beiden Schwestern doch all zu sehr in ihren Frauenseelen wühlen. Gut zu lesen ist es aber allemal.

Judka Strittmacher: "Die Schwestern. Aufbau Verlag Berlin. 19.99€

http://www.aufbau-verlag.de/index.php/die-schwestern.html

 

Katrin Seddig: "Eheroman"

Sie bekommt gerade noch die Kurve, als sie zum Auftakt der Lesung darüber schwadroniert, eine Beziehung könne wohl kaum dreißíg Jahre lang halten. Dann strahlt sie lausmädchenhaft ihr Publikum an und alles ist vergessen. Auch das Kostüm, bei dem durchaus etwas mehr Stoff hätte spendiert werden dürfen. Katrin Seddig ist keine Unbekannte auf dem deutschen Literaturmarkt. Das Hamburger Abendblatt, die Lokalzeitung mit dem eigenwilligen Kulturressort, hatte in der Wochenendausgabe eine Eloge auf das neue Opus der Schriftstellerin vollbracht, wie bereits zwei Jahre zuvor. Katrin Seddig, Anfang vierzig, stammt aus Brandenburg, studierte in Hamburg, wo sie auch lebt. Wie ihr Auftreten ist auch der Beginn von "Eheroman": frech, munter und unerschrocken. Er spielt in Norddeutschland und der Name des großen Flusses kommt oft vor. Aber vor allem aber gibt es zwei Menschen mit den so wenig norddeutschen Vornamen Ava  und Danilo. Ava ist im selben Jahr geboren wie die Autorin. Zufall oder ein Teil Autobiographie? Zur Ehe wird die Beziehung zwischen der älteren Ava und Danilo erst im letzten Drittel des Buches. Was dazwischen liegt hört sich bei Katrin Seddig auf der Lesung aber  höchst kurzweilig und spannend an. Vielleicht ist es sogar ein Hörbuch.

 

                 

Katrin Seddig: "Eheroman. Rowohlt Verlag. 19.95€

http://www.rowohlt.de/buch/2954111

Altonale - darf auch grün sein

Auf dem Spritzenplatz, dem Herzen Ottensens, zeigt sich am Sonntag Abend bei der Rückkehr von den Lesungen die Altonale grün - richtig grün. Am Rande des Platzes sprießt frischestes Grün an den kürzlich neu gepflanzten Platanen. Ihre Vorgänger waren an einbetonierten Füßen und abgedieselter Lunge gestorben. Der Platz selbst ist zum Schauplatz eines grünen Events, ehemals Happening, umfunktioniert. "Ein wenig spinnert" würde man in meiner bayerischen Heimat sagen, in bekannt bayerischer Toleranz jedoch hinzufügen "aber liab". So wie es auch auf der Homepage der veranstaltenden Gastgeber von "Cooking Gardens" nicht gerade grünernst zu den Idealen der Menschen um die Koch- und sonstige Künstlerin Anne Vaupel heißt: "saisonal regional ökologisch nachhaltig fair schmackhaft genussvoll entschleunigt geschenkt öffentlich kollektiv rituell performativ installativ zeichensetzend."  Ein Wort aus dem Konvolut hat am Sonntag besondere Bedeutung, denn Essen & Trinlken bekamen die Gäste"geschenkt" : einhundert geladene Bedürftige. Und alle, aber auch alle sahen fröhlich aus. Was das mit Kultur zu tun hat? Sehr viel meint Andreas Pawlouschek. Am Montag steht eine einsame Litfaßsäule auf dem Platz. Nackt, aller Plakate beraubt. Ein Schriftzug verstärkt die Tristesse des zurückgekehrten Alltags" Lieben Sie Krieg"....

Zwei Tage danach.....

sah es um die Mittagszeit am ersten Markttag der Woche so aus.

Ach ja - auf der dem Betrachter abgekehrten Seite stand in ebenso stolzen Lettern:

"Mutti, Vati und Waldi - alles klaut bei ALDI."

Das kann man natürlich nicht stehen lassen....