Woche 39 Triest

Triest - Literaten, Karst und ein Sentiero...

 

Triest     45° 39′ N, 13° 46′ O

Venedig 45° 26′ N, 12° 20′ O

 

Bei klarer Sicht, wenn winters die Bora den Himmel über Triest und der nördlichen Adria freigeblasen hat und die Luft klar und licht ist, vermeint man von den Hügeln um Triest auf der anderen Seite des Meeres die Stadt in der Lagune zu sehen - nicht Grado sondern das große Venedig. Der Blick folgt der Richtung, die der triestiner Canale Grande vorgibt,  direkt zu Sankt Markus, läßt den Campanile rechts liegen und biegt ein in den Canale Grande.  Hier in Triest, der Hauptstadt der Region Friaul-Julisch Venetien, ist der Canale Grande eher ein Canale Piccolo, eine kleine Wassersackgasse voll mit ebenso kleinen Motorbooten. Auf der anderen Seite des Meeres, im Westen, ist die Wasserstrasse voll geschäftigen Treibens, eine wenn nicht die Hauptader der Stadt. Nur wenige Minuten geographischer Breite trennen die beiden Städte, die so viele Berührungspunkte und -ängste in ihrer Geschichte hatten. Und  doch können sie unterschiedlicher nicht sein. Die Stadt der Serenissima, immer noch Abbild unvorstellbaren Reichtums, durch Handel erworben und auf Kriegszügen erplündert, der auch protzend nach außen gekehrt wird. Hier die mitteleuropäisch angehauchte, von Herrschern in Wien geprägte Hafen-, Verwaltungs-, Industrie- und Kaffeestadt, einige Jahrzehnte lang umwoben vom Geist großer Schriftsteller. Sie allerdings waren damals bettelarm und unerkannt oder wohlhabend und ebenso unerkannt.

 

          

Who is Who in Trieste

 

Wer Triest träumend durchstreift, Stadtplan oder Reiseführer vor Augen, läuft durchaus Gefahr, auf einen Vordermann aufzulaufen, an dem man sich eine blutige Nase holen kann. Höflicherweise müßte man sich dann entschuldigen. Auf einer Brücke über den Canale Grande hieße es dann: "Sorry Mr. Joyce", in der Altstadt auf der Piazza Hortis: "Verzeihung Herr Schmitz", und auf halbem Wege zwischen Beiden  würde man, das Taschentuch vor der blutenden Nase, gerade noch ein "Scusa, signore Saba" herausbringen. Zwei waren Freunde und Förderer des anderen, jeder in seiner Art: James Joyce motivierte Hector Aron Schmitz,  auch Ettore Schmitz genannt und später als Schriftsteller Italo Svevo, also "italienischer Schwabe", berühmt, aus literarischer Überzeugung . Schmitz, jüdischer Abstammung und vom gemachten Geld, sorgte dafür, dass Joyce Englischunterricht geben und so ein Überleben finden konnte. Als der "Ulysses" zum Welterfolg mutierte und sein Autor zum Weltstar, hielt er doch dem Freund in Triest die Treue und ebnete die Wege zu dessen schriftstellerischen Erfolg. Auch der dritte, Umberto Saba, wie Schmitz jüdischer Abstammung, war unter anderem Namen geboren und getauft als Umberto Poli. Auch wenn seine Werke heute nur noch einer kleinen literarischen Gemeinde von Kennern bekannt sein dürfte, in Triest wurde er ins Stadtbild verpflanzt wie seine Zeitgenossen Joyce und Svevo. Sie zu lesen ist immer wieder staunendes Erlebnis.  Und treu ist man der Literatur geblieben in Triest.

 

 Auf dem "Molo Audace", der Flaniermeile Triests, die weit in den Golf hineinragt und den Blick aufs Meer ebenso erlaubt wie zurück auf die Totale der Stadt, läßt es sich gut lesen, wenn auch weniger bequem ruhen. Noch unter Kaiserin Maria Theresa als Schiffsanleger gebaut, ist auf der Mole längst nicht mehr Schwerstarbeit sondern Lustwandeln angesagt.

Sicherlich ist über andere Städte Italiens, zuvorderst Rom, Venedig und Florenz ungleich mehr publiziert worden, als über Triest. Einig sind sich alle, was den Einfluß der K.u.K. Monarchie auf die Stadt angeht, die den einzigen freien Zugang zum Meer bildete und somit außerordentliche strategische aber auch handelspolitische Bedeutung hatte. In der Neuzeit, mit dem Aufbruch der Blöcke und der Erweiterung der Europäischen Union, neuerdings Friedensstifterin, wird Triest eine Bedeutung zugemessen, die in ihrer Tragweite noch gar nicht abzusehen ist, als Mittlerin zwischen sehr unterschiedlichen Kulturkreisen und entsprechender Wertvorstellungen.

 

 

Einig sind sich auch nahezu alle Autoren darin, die Schönheiten des Küstenstreifens zu rühmen, sei es an Land den Karst und von See die knapp vierzig Kilometer lange Steilküste zwischen Monfalcone und Triest. Der Karst wird zumeist als landschaftlich wild zerklüftetes, sehr reizvolles Gebiet bezeichnet. Mal wird die Qualität des auf mineralischen Böden wachsenden Weines gewürdigt, allen voran der weiße Malvasia mit unterschiedlicher Betonung im Italienischen und im Slowenischen, und der rote, kraftvolle Terrano. Autoren, wie Susanne Schaber, lenken den Blick aber auch auf die unrühmliche Bedeutung, die der Karst in den politisch kritischen Jahren nach 1945 erlangt hatte:

"Als im April 1945 jugoslawische Partisanen die Stadt (Triest Anm.d.Verf.) einnehmen und für sich beanspruchen, folgen vierzig Tage schlimmster Repressionen und Racheakte. Etwa dreitausend Menschen verschwinden oder werden in der Karstschlucht von Basovizza umgebracht..."

Bevor die politische Landkarte dort ihre heutige Linienführung bekam, war der Karst fast ausschließlich von Slowenen bewohnt. Noch heute weisen zweisprachige Orts- und Namenschilder darauf hin. Wer Ruhe sucht und karge Landschaften liebt, die auf den ersten und auch zweiten Blick recht ungeordnet zersiedelt scheinen, ohne sonderlich ausgeprägtes kommunales Leben, der mag hier gut aufgehoben sein. 

 

Ein kleine Episode aus dem Karst finden Sie in der Wochenchronik 2012 unter:

"Woche 39 Der Karst":
 

Il sentiero Rilke - oder die Duineser Elegien

 

 Sentiero Rilke mit Blick auf Schloss Duino derer von Thurn und Taxis-Hohenlohe

Zwei Kilometer lang ist er, der sehr gepflegte Weg hoch über der Steilküste. Gut gesichert führt er von Schloss Duino bis fast nach Sistiana. Vom Schloss kommend links am Ende in herrlicher Aussichtslage ein stinkender Campingplatz mit unzähligen Wohnwagen, die längst den Charakter von Eigenheimen angenommen haben. Vor dem Spaziergänger öffnet sich mit Blick in Richtung Triest eine Bucht mit ungepflegter Marina und einer jener grausamen Bausünden, die der positiv denkende Mensch des 21sten Jahrhunderts in Europa für nicht mehr möglich hält. Doch soll nicht vergessen sein, dass in Italien auch die Zementindustrie leben will - und die wird überwiegend von der Mafia kontrolliert, und das ist, wie man weiß, eine ehrenwerte Gesellschaft. Die Freude über den wunderschönen Weg, den Rilke wohl so oft gegangen ist, bis er die Inspiration für seine Elegien erhielt, wurde über diese Erfahrung glücklicherweise kaum geschmälert. Oder hatte Rilke diese Bausünde erahnt, als er am Beginn der ersten Duineser Elegie schrieb "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang."


 

 

Bei der Vorbereitung der Reise nach Triest war folgende Literatur hilfreich:

 

Susanne Schaber: "Großes Welttheater auf kleiner Bühne. Logenplätze in Friaul und Triest."

Picus Verlag Wien, 2008

 

Veit Heinichen/Ami Scabar: "Triest. Stadt der Winde."

Sanssouci im Verlag Carl Hanser München 2005

Heinichen, erfolgreicher Krimautor, und seine Frau, Ami Scabar, ebenso erfolgreiche Köchin in Triest, haben ein einfühlsames und kenntnisreiches Buch aus großer persönlicher Erfahrung heraus geschrieben, bei dem natürlich auch die heimische Küche nicht zu kurz kommt. An mancher Stelle wünscht man sich etwas mehr Distanz.

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Rainer Maria Rilke "Duineser Elegien"

Sämtliche Werke.

Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1955 ff

Mehr zu den Duineser Elegien hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Duineser_Elegien

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"Triest und sein Umland." 

Touring Editore, Mailand 2011

Vom Tourismusbüro vor Ort erhielt ich kostenlos den sehr zuverlässigen und aktuellen Reiseführer.

Er hat ein handiges Format und kommt in einem praktischen, festen Plastikumschlag mit Kartenfach daher.

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 Texte und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2012

 

Einen Besuch bei der charmanten Familie Milic auf dem Karst können sie hier miterleben: Wochenchronik 39 Der Karst

Zum Abschluss der Reise ging es erstmals nach 44 Jahren wieder einmal nach Slowenien: Wochenchronik 40 Piran