Woche 21 - Elbjazz

Elbjazz 2012

Volksfest mit Jazzbegleitung - oder die Grenzen des Wachstums.

 

Nimmt man es als Volksfest, dann kann man sich höchstens darüber aufregen, dass der Bierpreis über dem des Münchner Oktoberfestes lag, dass man aus Plastikbechern trinken musste und keine vollbusigen Kellnerinnen mit halbvollen Krügen daherkamen, sondern der Verdurstende lange Wartezeiten vor den wenigen Getränkeständen inkauf nehmen musste. Das Bier schien immer von der selben Brauerei geliefert worden zu sein. Wein gab es aus dem Hause, für das eine der Initiatorinnen strahlend und fein herausgeputzt im Programmheft Reklame machte. Ist ja auch schwer und lobenswert, sechs oder sieben Weine aus einer Karte auszuwählen, die zum Standard einer Stammkneipe gehört. Entschieden schwerer war es für den Gast, überhaupt an Wein heranzukommen. Und noch schwerer, das Pfandglas, so es leer war, wieder in Bares zurückzutauschen. Im Vergleich zu den miesen Bedingungen des ersten Festivals hat sich erkennbar nur verändert, dass sich jetzt noch deutlich mehr Besucher um die Getränkestände und raren Imbissstuben drängen. Auch hier wird dem Wachstum Tribut gezollt.

Es kann davon ausgegangen werden, dass den Macherinnen dieses Festivals das Problem der Grenzen des Wachstums bewußt ist. Zu deutlich ist die Sprache der Einträge auf der Homepage "elbjazz.de". Viel Lob steht da neben kritischen Anmerkungen wie Überfülle, zu wenige Fähren, Mangel an Versorgung aber auch an Toiletten und Toilettepapier. Aber auch die Programmgestaltung bekommt den Wind zwischen die Zähne. Viel "zu populistisch" heißt es und umschreibt präzise, wie Christian Fürst nach der Vorlage des Prgramms auf einer Pressekonferenz vorsichtig urteilte, die besagterweise auf der Terrasse des Szenlokals "Blockbräu" stattfand, die dann unter Dauerüberfüllung litt. Auf der Fahrt zur Werft von Blohm & Voss meinte ein älterer Herr "lieber klein und jazzig, als groß und poppig." Es war einer der Gründer und  Mitverantwortlichen von"Jazz an einem Sommerabend" auf Burg Linn bei Krefeld. Auch dort wird Michael Wollny spielen. Allerdings in kleiner, feiner Besetzung und wird nicht gezwungen sein, gegen den dilettierenden Komiker Helge Schneider anzuspielen. Der, so noch ein Apercu am Rande, losgelöst von der sehr guten Elbjazz-Werbung seine eigenen Plakate kleben ließ. Geholfen hat es ihm nicht. Sein Auftritt war ein riesen Flop. Gaukler, bleib bei Deinem Leisten möchte man ihm zurufen.

Elbjazz 2012. Der Pianist Michael Wollny und der Entertainer Helge Schneider.

 

Viktoria Tolstoy

In der Presse und nachfolgend im Programmheft des Festivals wird die schwedishe Sängerin gebetsmühlengleich als Enkelin des russischen Schriftstellers Lew Tolstoi angekündigt. So als könne man sich die Ahnen aussuchen. Und wenn - auf der Bühne singt nicht Lew sondern Viktoria - und sie singt prächtig und sehr präsent. Ihre Musik ist nicht einzuordnen. Hier einmal mehr Jazz, dann vielleicht dunkler Soul oder eingängiger und gleichzeitig fetziger Pop oder eine Mischung aus all diesen Genres. Perfekte Arrangements, wandlungsfähige Stimme und ein Auftreten, dass alle mitnimmt, die sich vor der Hauptbühne auf dem Werftgelände zusammengefunden haben - und das sind richtig viele. Ärgernisse gab es zwischen Fotografen und Sicherheitskräften. Zunächst wurden die Frauen und Männer mit den langen Objektiven in den sogenannten Graben zwischen Bühne und Publikum gelassen.  Als der Star der folgenden halben Stunde dann bereit war loszulegen, wurden die Vertreter der Presse hinauskomplimentiert - ein Unding. Nur Dank äußerst toleranter Besucher, die ein Einsehen mit den Nöten der Fotografen hatten, gelang es, durch das dichtgedrängte Publikum doch noch an halbwegs akzeptable Kamerastandpunkte zu gelangen, wo es nicht ausblieb, dass man vielen die Sicht versperrte für kurze Zeit.  Kein Einzelfall leider.

 

Es ist schon ein merkwürdig Ding, die Relativitätstheorie. Warum kommen dem Zuhörer bei einem Musiker dreißig Minuten vor, wie eine Ewigkeit. Und dann glaubt man, im siebten Jazzhimmel zu sein, und die halbe Stunde ist vorüber, eh man's gedacht. So geschehen zum Beispiel bei Omar Sosa, der von der NDR Bigband begleitet wurde, die leider nur in Ansätzen versuchte zu kaschieren, dass ihre Mitglieder mit der Einstellung in den Öffentlichen Dienst gleichzeitig auch ihre Tugenden als Jazzer in der Personalakte abgelegt hatten. Brav und ohne Hauch von Inspiration spielten sie gelangweilt vom Blatt, während an ihrer Seite Omar Sosa ein Feuerwerk seines Könnens, seines Temperaments und seiner Spielfreude abbrennen ließ.

 

Elbjazz 2012: Omar Sosa Palacios

Nicht nur bei ihm fragt sich, ob die Veranstalter wirklich stur an der vorgegebenen Auftrittsdauer festhalten müssen und nicht vielmehr qualitätsrelevante Auftrittszeiten ermöglichen sollten. Die organisatorischen Probleme dürften sicherlich gewaltig sein, doch wäre es einen Versuch wert. Und Unmögliches ist bei Elbjazz längst möglich gemacht worden. Auch wenn manche der eingeflogenen Musiker einen zweiten Auftritt spendiert bekamen, was höchst lobenswert ist, werden sie auf dreissig Minuten kastriert, um dann manchmal auch - man verzeihe mir den Ausdruck - zweitklassigen Künstlern Platz machen zu müssen.