Woche 19 Berlin

Berlin - revisited 

 

Berlin 2012: Der etwas andere "Mauersprung"

 

"Berlin ist eine Reise wert" ...

hieß es in der Tourismuswerbung, als die Stadt noch geteilt war und Spötter die Worte anhängten "aber nur eine"..... Einundreissig Jahre lang hatte ich es vermieden, die Stadt zu besuchen, die geteilt war, als ich 1981 das letzte mal in ihrem westlichen Teil weilte. Als ich im Dezember 1986 mich auf den Weg machte, um in Algerien zu arbeiten, fragte ich beim Anblick des Grenzzaunes, der von der Autobahn aus ein Stück zu sehen war meine Frau, ob wir es noch erleben würden, dass es wieder ein Deutschland gebe. Die Entwicklung ist bekannt. Wir kamen nach sechs Jahren in Nordafrika zurück nach Hamburg und die Hauptstadt dieses neuen, alten großen Deutschland war wieder einmal Berlin, die ehemalige Hauptstadt des Reiches, zuletzt eines 1000-jährigen,  Ausgangspunkt von Kriegen und Verwüstungen, von Rassenwahn und Holocaust. Diese Stadt wollte ich nicht mehr besuchen. Ich verfolgte, wie Berlin sich veränderte und wie Ulrich Deppendorf schrieb, als ich meine Meinung doch noch änderte, Altersweisheit kann manchmal nicht schaden. Dabei war es weniger ein Sinneswandel, als vielmehr ein verlockendes Angebot, eine konzertante Aufführung der "Walküre" in der Philharmonie unter Chefdirigent Simon Rattle in Spitzenbesetzung hören zu können. Nun denn, nur für eine Aufführung nach Berlin zu reisen geht zwar, macht aber keinen Sinn im Loriot'schen Sinn der Möpse. So wurde eine Woche geplant mit Hilfe von zwei Berlin Kennern. Die Eine, Katharina Teutsch, Frankfurterin seit zehn Jahren in Berlin verwurzelt. Der Andere, Wolfgang Collatz, Berliner mit Wohnsitz in Hamburg. Beiden sei bereits hier gedankt.

 

 

 

Kind inmitten der "Topographie des Terrors" - Berlin im Mai 2012

Berlin ist groß, sehr groß, vielleicht zu groß  sogar und in vielen Teilen neu und modern. Immer wieder aber stößt der Besucher auf die Spuren der Vergangenheit, keiner sonderlich rühmlichen. Sei es die "Topographie des Terrors", die auf dem Gelände der zerstörten Zentrale der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten in ihren Schreckensbann zieht. Das Erinnern und Aufklären geschieht hier ohne erhobenen Zeigefinger und trifft vielleicht gerade deshalb umso tiefer ins Herz. Erschütternd, behinderte junge Menschen in ihren Rollstühlen vor den Dokumenten der Vernichtung Gleichaltriger durch gnaden- und gewissenlose, unmenschliche Ungeheuer zu sehen, die einmal den Eid des Hippokrates geschworen hatten.

 

Verdichtete Stille hier, unruhiges, jahrmarktähnliches Treiben dort. Die Stelen, die jahrelang die Gemüter erhitzt hatten und Frau Lea Rosh auf den Plan und wieder weg vom Plan gebracht hatten, stehen und werden zum Spielplatz der Jugend, die per Bus angekarrt wird während eines Klassenausfluges. Was immer der Besucher halten mag von den bereits bröckelnden Stelen - ein derartiges Gebahren ist nicht tolerierbar. Dass junge Menschen die Szenerie nutzen, um ein vermeintlich tolles Foto in Facebook zu stellen, mag angehen, dass alpinistische Übungen abgehalten werden nicht. Ein dunkelhäutiger Sicherheitsbeamter, um Ordnung freundlich bemüht, wurde schlicht ignoriert. Begleiter der Jugendlichen waren keine zu sehen. Erzieher können es keine gewesen sein.

Berlin. Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Beneidenswert schön, ruhig und voller Idylle ist das Ufer des Wannsees an einem Ort, an dem sich wie sonst wohl kein zweites mal in Berlin die Geschichte derart kontrastierend präsentiert. Zwei prächige Villen direkt am Seeufer laden zum Besuch ein. Wenn man sich von Wannsee kommend der ersten, kleineren nähert so zeigt ein Blick über eine dicht gewachsene Hecke ein stattliches Haus, dessen Architekt Palladio gekannt und geschätzt haben muss. Den Wohlstand, der nötig war, sich eine solche Villa kaufen und sie unterhalten zu können, hat ein Künstler zusammengetragen - Max Liebermann. Dem Gründungsmitglied der "Berliner Secession" war früh schon bewußt, wes Geistes Kind die Nationalsozialisten waren. Der Präsident der Preußischen Akademie der Künstle legte bereits Mitte der 30er Jahre alle öffentlichen Ämter nieder aus Protest gegen die antisemitische Propaganda der Nazis. Von ihm stammt der Spruch am Tag der Machtergreifung Adolf Hitlers: "Ich kann gar nicht nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." Liebermann starb 1935 und musste nicht mehr erleben, wie Millionen Juden grausam vernichtet wurden, Opfer eines Rassenwahns, der auch mit einer Stätte verbunden ist, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Liebermanns Sommersitzt liegt. Der Villa der "Wannseekonferenz".  Hier wurde 1942 auch höchst offiziell die Deportation sämtlicher Juden in den Osten beschlossen und besiegelt mit dem Ziel, sie dort zu vernichten.

         

                                       Berlin Wannsee:  Villa Liebermann und die Villa der Wannseekonferenz

Der alltägliche Wahnsinn des Faschismus....

 

Es gibt die großen Gesten, die manchmal auch aufdringlich weil gewollt erscheinen, und es gibt das kleine, feinfühlige Erinnern daran, wie der faschistische Wahn im nachbarschaftlichen Miteinander wütete. Irgendwo muss es in der Nazi-Bürokratie einen "think-tank" gegeben haben, dessen Aufgabe darin bestand, jüdische Mitbürger mit immer neuen Verboten und Reglementierungen zu drangsalieren. Hieran zu erinnern, braucht es keiner großen Stelen, keines Mahnmals - einige kleine Tafeln genügen, angebracht im bayerischen Viertel von Schöneberg. Sie sind relativ hoch angebracht, vorwiegend an Laternenmasten. Hoch genug, um nicht allzu leicht beschmiert oder gar zerstört zu werden von der neuen schwarzen Brut.

Anekdote - oder der Amtsschimmel wiehert...

Wolfgang Collatz beschreibt die Genesis so: "Das Mahnmal im Bayerischen Viertel fand ich auch immer sehr anrührend, gerade weil es die Schikane im Alltag verdeutlicht. Das hat es dem wenige Jahre später geplanten Monument für Lea Rosh voraus. Übrigens war die Entstehungsgeschichte eine echt Schöneberger Posse:

Als Ende der achtziger Jahre die Geschichte des Viertels ins öffentliche Bewusstsein rückte, benannte der Bezirk Schöneberg die Nördlinger Straße wieder in Haberlandstraße um (nach dem jüdischen Terrainentwickler). Zugleich entstand die Idee, den Bayerischen Platz wieder als Schmuckplatz herzurichten und ein Mahnmal zu bauen. Es wurde ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben, den das dezentrale Konzept mit den Schildern gewann.  Die Montage der Schilder gab dann das Kunstamt in Auftrag, ohne andere Behörden davon zu informieren, etwa die Polizei. Bei der meldeten schon bald Anwohner, in ihrer Straße seien antisemitische Parolen aufgehängt worden. Einige besonders intelligente Polizisten erkannten die Brisanz der Texte (immerhin!) und vermuteten dahinter rechtsextremistische Umtriebe. Um das heikle Thema möglichst diskret aus der Welt zu schaffen, wurden die Schilder wieder abgeschraubt und vom Kunstamt "überarbeitet". Das Ergebnis sind die kleinen Zusatzschilder, die am unteren Rand angebracht sind. "

 

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen außer: copyright Wolfgang Collatz 2012

 

Die Mauer - und was davon blieb.....

 

Wie das Titelbild vermuten läßt, gehen Berliner sehr lässig mit der jüngsten Geschichte um. An der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und dem Wedding wußte auf Anhieb nur ein alte Frau zu sagen, wo die Mauer verlief. Für den Autor, der als kleines Kind 1950 erstmals nach Berlin kam und an die Zeit in den Schulen in Schlachtensee und Zehlendorf nicht nur gute Erinnerungen hat, eine erstaunliche Erfahrung. Umso mehr, als er nach der Entführung des CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz in den 70er Jahren als kommisarischer Leiter des Tagesschau-Büros im SFB  mit der Mauer leben musste. Mit nichts stellte sich die SED-Führung aus meiner Sicht selbst stärker an den Pranger als durch Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl. Mit diesen Maßnahmen hatte sich die DDR endgültig ins Abseits der  freiheitsliebenden, demokratischen Völkergemeinschaft gestellt. Die Zeit und die Folgen dieses Unrechtsregimes scheinen kaum noch so richtig präsent zu sein im Berlin des Jahres 2012. Am Brandenburger Tor oder dem Checkpoint Charlie wird gar Mummenschanz mit den Symbolen vergangener und gegenwärtiger Staatsmacht getrieben. Erscheinungen, die eine schlechten Beigeschmack haben:

Texte und Bilder Copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2012

Ausnahmen sind deutlich gemacht