Front - 100 Jahre WW 1

"FRONT - Horror-Erzählungen aus dem 1. Weltkrieg"

von Christian Fürst, nmms

Die Bühne im großen Saal des Hamburger Thalia-Theaters ist dunkel. Ein Dutzend Schauspieler aus Deutschland und Belgien sitzt in einer Reihe - zum Teil verhüllt die schwarze Decken - am Rande der Bühne vor leeren Notenständern. Der bullige, fast grobschlächtig wirkende Schauspieler Bernd Grawert ergreift ein ungewöhlich geformtes Blasinstrument und entlockt ihm quietschende Trompetentöne. Dann beginnt das Ensemble mit seinem Vortrag.FRONT, dieses Stück aus Anlass der hundertsten Wiederkehr des 1. Weltkriegs, ist keine Unterhaltung: Es ist eine Kakophonie des Grauens. Nach den Vorstellungen in Hamburg wird FRONT in den kommenden Monaten auf "Tournee" durch die Benelux-Staaten gehen und auch in Frankreich gastieren. 

 

FRONT ist eine Collage der Sinn- und Hoffnungslosigkeit, in der nur wenige Momente der Hoffnung Platz haben. Sie wurde von dem gebürtigen Belgier und Thalia-Direktor Luk Perceval, Steven Heene und Christin Bellinger auf der Basis von erschütternden Zeitdokumenten zusammengestellt: "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque, "Le Feu" - Das Tagebuch einer Korporalschaft"  von Henri Barbusse und Zeitdokumenten. Für dieses Stück suchte sich das Thalia-Theater mit dem Nationaltheater von Gent (NTGent) bewusst die Kooperation einer belgischen Bühne. Denn - obwohl neutral - wurde auch Belgien ein Schauplatz des vier Jahre dauernden Kriegsmassakers, dem 17 Millionen Soldaten zum Opfer fielen. An der so genannten Westfront waren es überwiegend Deutsche, Franzosen und Briten, und darum werden die verschiedenen Zitate aus den Romanen, Briefen und Tagebuch-Eintragungen der Soldaten und beteiligten Zivilisten auch in diesen Sprachen vorgetragen.

 

Die gesprochenen Texte in deutsch, französisch, flämisch und englisch  werden für das jeweilige Publikum simultan übersetzt

 

FRONT verzichtet auf einen konkreten Handlugnsablauf. Die von den Schauspielern im Halbunkel oft pantomimisch dargestellten Szenen sind Interpretationen der bruchstückhaften Textstellen, die am Bühnenrand gesprochen werden. Jede Effekthascherei wird vermieden.

 

 

 

"Dass einige von uns fallen werden, ist so gut wie sicher!" 

 

Leidenschaft: Oft wars der letzte Tag im Leben der jungen Soldaten auf beiden Seiten der Schützengräben. Mädchen wurden zu Witwen, noch bevor sie heiraten konnten, ihre Kinder noch vor der Geburt zu Halbwaisen

 

Dass "FRONT" überwiegend in Belgien spielt, und dass das Thalia-Theater hier mit einer belgischen Bühne zusammenarbeitet, hat einen guten Grund: Das völlig unbeteiligte Land im Westen war das erste, das von den deutschen Truppen überrannt wurde. Die Regierenden in Berlin hatten geglaubt, das kleine Königreich auf dem Weg zur weniger stark befestigten belgisch-französischen Grenze im Eiltempo besiegen zu können. Doch die deutsche Generalität täuschte sich gewaltig, Nicht nur leisteten die Nachbarn heftigen Widerstand; der Überfall rief Großbritannien auf den Plan, das nun seinerzeit Deutschland den Krieg erklärte. Der furchtbare Schritt zu einem Weltkrieg mit Beteiligung Dutzender Staaten war gemacht.   

 

 Tagebücher aus dem Schützengraben - Dokumente des Grauens 

 

Ein vierschrötig wirkender Mann mit Kahlkopf betritt die dunkle Bühne. Er ergreift ein merkwürdiges, fast quadratisches Blasinstrument und entlockt ihm qietschende, fast schmerz-erregende Töne. Bernd Grawert (52), Schauspieler mit regelmäßigen großen Auftritten im Hamburger Thalia-Theater, spielt eine tragende Rolle in FRONT. Hier kann er die ganze Palette seiner Darstellungskunst entfalten. Er erzählt die Geschichte von jenem Paul Bäumer aus "Im Westen nichts Neues", mit dem der Schriftsteller Erich Maria Remarque die Welt erschütterte.

Grawert spielt so gut wie nie wirklich sympathische Figuren. Er ist eher der Macho-Typ, der auf der Bühne - auch, oder vor allem gegen Frauen Gewalt anwendet. Doch wie zerbrechlich der Mensch hinter dieser harten Fassade sein kann, zeigt er in dieser Kriegsdoku. Grawert ist im übrigen auch ein großartiger Musiker, auf dessen Talente auch die Regisseure regelmäßig zurückgreifen.

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Schlagzeilen machte der Künstler im April 2011, als er während einer Premiere in einen 6 Meter tiefen Graben im hinteren Teil der Bühne stürzte. Danach musste er in ein künstliches Koma versetzt und eine gequetschte Niere entfernt werden, doch schon bald stand er wieder auf den berühmten "Brettern", Beeindruckt hat Grawert mich unter anderem in der Brecht'schen Fassung der "Antigone" und in dem Zwei-Personen-Stück "Blind Date"   (beide im Thalia-Theater)

 

Zweimal Bernd Grawert, und beide Male mit der vorzüglichen Oda Thormeier in "Antigone" und "Blind Date"

 

  

 

Alle Bilder und Texte copyright Christian Fürst, 2014