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Der Fall der Götter
nach dem Drehbuch zum Film "Die Verdammten" von Nicola Badalucco, Enrico Medioli, Luchino Visconti,

Bühnenbearbeitung: Tom Blokdijk
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß

Kostüme: Anja Rabes, Komposition und Live-Musik: Philipp Haagen, Michael Verhovec.
Mit: Katja Danowski, Ute Hannig, Lukas Holzhausen, Markus John, Julia Nachtmann, Samuel Weiss, Sören Wunderlich.
 


"Keine neuen Horizonte"

"Spiegel-online" kann sich nicht unbedingt für die Hamburger Inszenierung begeistern:

 

"...Die Erkenntnis, wie überlebensfähig Geld und Macht sind, reißt keine neuen Horizonte auf.

So verpufft der Schluss wie viele Ansätze in dieser Bearbeitung. Ein Profi wie Kimmig hätte wissen können, dass er mit einer solchen Herangehensweise eine Bauchlandung riskiert. Aber vielleicht hatte der Regisseur andere Antriebsgründe als künstlerischen Ehrgeiz? Wollte er dem derzeit leicht darbenden Schauspielhaus womöglich mit seiner Star-Power einen Gefallen tun? Wenn ja, warum musste es dieses "verdammte" Stück sein? Reichlich Schlussbeifall gab's trotzdem, und die Akteure zumindest hatten es auch verdient."

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Drang zur Deutlichkeit

Das bekannte Portal für Theater-Kritiken "Nachtkritik" erteilt dagegen Regisseur und Ensemble durchgehend gute Noten:

"...Überzeugende Lösungen findet die Inszenierung auch für so "delikate" Dinge wie Martins Pädophilie und die "Befreiung" von seiner Mutter durch ihre Vergewaltigung. Und für die diversen Erschießungen wird nicht einmal eine Waffe benötigt. Hier wie dort findet die Inszenierung Mittel und Wege, die Drastik im Kopf entstehen zu lassen, statt sie vorzuführen – mit Sicherheit die nachhaltigere Art der Wirkung.

Nur zum Schluss will der Abend darauf nicht so recht vertrauen, denn der schlägt den Bogen, der wie im Film beim Reichstagsbrand 1933 beginnt, weiter bis in die Bundesrepublik der Adenauerzeit. Doch auch dieser Drang zur Deutlichkeit kann den Gesamteindruck einer Inszenierung nicht trüben, die selbst die Länge von zweieinhalb Stunden vom Film übernimmt – wozu im Theater aber eine längere Pause zählt. Und im Unterschied zum Film ist dies der einzige Moment, in dem im Schauspielhaus geraucht wird."

 

Der Fall der Götter

 

Der Fall der Götter (und ihre Auferstehung ...)

von Christian Fürst, nmms

 

Als der italienische Regisseur Luchino Visconti das Familienmelodram "Die Verdammten" 1969 auf die Leinwand brachte, konnte er nicht ahnen, dass das dramatische Stück über die fiktive, aber doch gleichzeitig so reale (Krupp) Familie des Stahl- und Waffenimperiums "von Essenberg" einmal zu einem häufig inszenierten Bühnenstück würde. Zehn Jahre nach der ersten Aufführung von "Der Fall der Götter" (durch den Regisseur Johan Simons) hat jetzt der Ex-Thalia-Regisseur Stephan Kimmig eine neue, beeindruckende Fassung des Films im Deutschen Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Und wieder wird das Drama über Machtkämpfe, Intrigen und Denunziationen in der Großindustriellenfamilie unter der Nazi-Herrschaft zu einem beklemmenden  Zeugnis großdeutscher Dekadenz im Zeichen der Diktatur. 

 Viscontis Drama, mit dem der Aufstieg des Schauspielers Helmut Berger begann, wurde auch unter dem Namen "Götterdämmerung" bekannt. Es zeigt den fast vollständigen Zerfall einer Familie unter dem politischen und physischen Druck des Nationalsozialismus, gepaart mit dem absoluten Willen nach Macht und Einfluss. Wer hier Gewissen hat, wird aus dem Weg geräumt. Doch alle Zerstörung und Selbstzerstörung, die am Ende die halbe Familie vernichten, können den Essenberg-Clan nicht ausrotten, und so folgt die "Auferstehung" des Imperiums 1953 mit freundlicher Hilfe des Adenauer-Regimes.

 

 

"Du wirst am Ende Deutschland nicht wiedererkennen" meint der aalglatte SS-Offizier Aschenbach. Er steuert in dem Stück die Intrigen und fördert so die Zerstörung der Familie

 

"Der Fall der Götter" schildert die Ereignisse rund um die erfolgreiche Stahldynastie der Familie von Essenbeck. Patriarch Joachim von Essenbeck leistet von Beginn an den Nazis keinen Widerstand, obwohl er keine Sympathie für sie hegt. Als ersten Schritt entlässt er seinen angeheirateten Neffen Herbert, weil dieser schließlich als "Linker" bekannt ist. Joachims verwitwete Tochter Sophie bandelt mit dem charakterlosen Emporkömmling Friedrich Bruckmann an. Ihr Sohn Martin schockiert mit seinen sexuellen Auswüchsen und seiner Pädophilie. Bruckmann wird wiederum von Sophies Vetter, dem SS-Offizier Aschenbach, für politische Zwecke missbraucht. Und Joachims zweiter Sohn Konstantin sucht seinen eigenen Weg an die Macht. Als der Reichstag brennt, mordet Friedrich Joachim, der Verdacht fällt auf den Sozialdemokraten Herbert Thalmann, Ehemann von Joachims Nichte Elisabeth, die am Ende fliehen, aber den SS-Schergen nicht entkommen.

Kimmigs Inszenierung macht es dem Zuschauer nicht immer leicht, da er die wichtigsten Schauspieler gleich in mehrere Rollen schlüpfen lässt.  So spielt der großartige Markus John das Familienoberhaupt Joachim von Essenbeck und gleichzeitig den Aufsteiger Friedrich Bruckmann; Opfer und Täter in einem, sowie den neurotischen Enkel Martin.

 

Im alten Glanz: Ex-SS-Offizier Aschenbach als Firmenboss im Jahr 1953

 

. "Mir stellt sich die Frage, wie weit man hineingucken kann in diese Abgründe", so meinte Kimmig in einem Interview vor der Premiere. "Wie innerhalb dieser ehrgeizigen Familie jeder den anderen vernichtet, Ehen zerbrechen und die Unternehmensethik zerfällt."

Dass die Dynastie nach dem vernichtenden Kriegsende wieder ersteht und die Täter von einst nun in altem Glanz ihr umstrittenes Imperium repräsentieren dürfen, verdanken sie am Ende der ersten Bundesregierung und Kanzler Adenauer, für den bekanntlich Vergangenheitsbewältigung nie wirklich ein Thema war.

 

Bericht und Fotos copyright @ Christian Fürst 2011