Der Analog-Fotograf

Jaipur: Der Analogfotograf schwört auf Schwarz-Weiß

 

Für Tikam Chand steht fest: "Die Einführungder Computer in der Fotografie hat uns alle faul gemacht! Die Leute haben das Denken verlernt und verlassen sich nur noch auf den Mausklick! Früher war Fotografieren noch eine Kunst" - Chand (44) hat sein Leben lang "analog" fotografiert. auf dem staubigen Gehsteig unmittelbar vor dem City-Palast von Jaipur (Rajasthan/Indien) steht seit fast drei Jahrzehnten sein "Studio". Eine kleine Holzbank vor einem schwarzen Vorhang. Seine Bilder macht der Mann mit dem gepflegten Schnauzer mit einer uralten Plattenkamera - Marke unbekannt - die eindeutig aus dem 19. Jahhundert stammt, und die schon erheblich bessere Tage gesehen hat. "Sie ist 150 Jahre alt" prahlt Tikam, und irgendwie glaubt man ihm dies beim Anblick des wackeligen Holzstativs und des morsch und wurmstichig wirkenden Kameraungetüms sofort. "Das Objektiv ist Original Zeiss-Jena" erläutert der Fotograf. Er selbst habe "viele Freunde in Deutschland".

 

Tikam Chand ist natürlich NICHT der Erfinder der Sofortbild-Fotografie, auch wenn seine Fotografiertechnik dem Vorbild schon recht nahe kommt. Und natürlich ist seine Fototechnik um ein Vielfaches charmanter. Seine Bilder macht er ausschließlich auf einfachem, weißen Fotopapier. Scharf gestellt wird nicht mit dem uralten Zeiss-Objektiv, sondern durch ein Verrücken der Plattenkamera bis der richtige Schärfepunkt gefunden ist.

Natürlich hat das Ungetüm von Kamera auch keinen Verschluss. Die Belichtungszeit hat der Fotograf nach drei Jahrzehnten Erfahrung im Gefühl. Er nimmt kurz die Kappe vor der Frontlinse ab und schließt sie nach ein bis zwei Sekunden wieder. Das Bild ist im Kasten. Das übliche "Bitte Lächeln" hat sich Chand verkniffen. 

Den optischen Gesetzen und denen der Chemie folgend ist das Papierbild, das der Mann aus dem Wüstenstaat Rajasthan nun in einem kleinen, mit Entwickler gefüllten Gefäß im Kameragehäuse entwickelt und anschließend kurz fixiert, seitenverkehrt, auf dem Kopf stehend und ein Negativ. Als Schutz vor dem grellen Sonnenlicht Indiens benutzt er bei seiner "Laborarbeit" eine umgedrehte Männerjeans. Anschließend spült der Straßenfotograf das Bild mit ein wenig Wasser ab, das er in einer Weinflasche neben der Kamera aufbewahrt. Nun kommt der entscheidende Schritt: Das nasse Papier-Negativ pappt Tikam Chand auf ein Holzbrett und fotografiert es mit seiner Kamera so ab, dass ein durchaus brauchbares Papierpositiv entsteht. 

"Fifty Rupies" (50 Rupien) verlangt Chand für ein Foto. Das sind rund 80 Cent. Zwar kann man in einem indischen Fotogeschäft bessere Sofortbilder für weniger Geld bekommen, aber dafür gibts natürlich diesen einmaligen Auftritt im Schatten des alten Palastes und wenige Meter vom berühmten Palast der Winde entfernt kostenlos.

Chand hat die Fotografiertechnik auf dem Gehsteig von Jaipur nicht etwa erfunden. "Mein Großvater erhielt die alte Kamera, die noch aus der britischen Kolonialzeit stammt, aus dem Maharadscha-Palast" erzählt er. Seither ist sie das "Arbeitstier" der Familie. Die Kamera, Made in Germany, ernährte die Familie seines Vaters und jetzt die Frau und drei Kinder von Tikam Chand. Wenn man sich aber das wackelige Kameragehäuse genau ansieht, könnte man schon bezweifeln, ob das uralte Gerät auch in der kommenden Generation der Chand-Familie noch ihren Dienst versehen wird. Ausgeschlossen ist das aber auch im Indien des 21. Jahrhunderts ganz sicher nicht.

 

Bilder und Text copyright Christian Fürst 2011