Vor Istanbuls Großem Sturm

Istanbul vor dem Sturm 

Bilder von Christian Fürst, nmms

Es waren friedliche Tage im Mai, die wir in Istanbul verbrachten. Unser erster Besuch in der Metropole an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien. Von Spannung spürte der unbedarfte Tourist nichts, auch wenn der inzwischen weltweit bekannte Taksim-Platz längst zu Teilen von Demonstranten besetzt war. Die Massen drängten sich nicht nur an Nachmittagen an den Bushaltestellen am Goldenen Horn oder durch die Istiklal Caddesi, und die Angler standen zu Dutzenden ruhig und stundenlang auf der Galata-Brücke, um am Ende des Tages ein paar mehr oder weniger kleine Fische mit nach hause tragen zu können. Natürlich wunderten wir uns darüber, wieviele Frauen hier Kopftücher tragen. Aber sind wir das inzwischen nicht auch aus Wien oder Hamburg gewöhnt?...

Unser erster Spaziergang in Istanbul führte uns die wenigen Hundert Meter bis zu den beiden großen Wahrzeichen der Stadt, der Blauen Moschee und der Hagia Sophia; vorbei an der berühmten Zisterne, vor der Hunderte Touristen Schlange standen, und da war natürlich auch jenes Dutzend Katzen, die sich entlang des Weges faul auf Stühlen oder bequemen Kissen reckten, die ihnen Andenkenhändler oder Restaurantbesitzer für ein gemütliches Nachmittagsschläfchen hingestellt hatten. Menschen, dachten wir uns, die Katzen lieben, können keine schlechten Menschen sein! Ein dickes Plus also bereits zum Reisebeginn für die Istanbuler! Und irgendwie hat es diese riesige Metropole schnell geschafft, unsere Sympathie, ja Zuneigung zu gewinnen. Was nicht nur an den herrlichen Bauwerken und der grandiosen Lage lag. Es waren nicht zuletzt die Menschen von Istanbul, die inzwischen so viele sind, dass sie keiner mehr richtig zählt. 

In diesem Feature zeige ich fast ausschließlich Bilder von diesen Menschen, ob mit oder ohne Kopftuch. Und die meisten Bilder habe ich in Schwarzweiß konvertiert. Bilder vom farbigen Istanbul, von seinen Moscheen, grünen Ufern am Goldenen Horn und vom herrlichen Blick auf den Bosporus - leider nur gelegentlich unter hellblauem Himmel - folgen später.

 

I. Die erste Erkundung - Begegnungen vor der Hagia Sophia und der Blauen Moschee

Brautpaar vor der Blauen Moschee

 

Hochzeiten sind in der Türkei ein ganz großes Geschäft. Es gibt zahllose Geschäfte mit prachtvollen, nach unseren Vorstellungen vielleicht etwas kitschigen Brautkleidern, in denen sich auch die berüchtigte Barbie wohlfühlen dürfte. Und natürlich werden nach den Trauungen auch die üblichen Fotos fürs Erinnerungsalbum gemacht. Das Brautpaar auf diesem Bild kam gerade von getaner Arbeit und blieb freundlich vor der Blauen Moschee stehen, um sich auch von mir ablichten zu lassen. Mit ernster Miene, als stünden sie vor dem Standesbeamten.

Das andere Paar, die Hagia Sophia und die Blaue Moschee, ist einer der Haupt-Anziehungspunkte Istanbuls - nicht nur für die zahllosen Touristen in der Stadt, sondern auch für die Bevölkerung.  Man trifft sich zum Picknick auf den Touristen-gerechten Bänken in der Grünanlage zwischen den beiden ehemaligen Gotteshäusern, die täglich einen schier unendlichen Ansturm von Urlaubern aus aller Welt erleben. Wir wohnten wenige Hundert Meter von beiden entfernt. Die folgende kleine Galerie von Menschenbildern entstand bei unserem ersten Spaziergang. Bei den zahlreichen, schwarz verhangenen Frauen handelt es sich übrigens wohl nicht um Türkinnen, sondern um die  Ehefrau(en) von Gästen aus den Golfstaaten und Saudi-Arabien, die hierher gerne ihre orthodoxe Lebensweise exportieren würden. 

 

Istanbuler sind ein tolerantes Völkchen, wenn es um das Millionenheer der Touristen geht, die viel Geld in die Stadt bringen. Was den Urlauberstrom angeht, gehört das ehemalige Konstantinopel zu den 5 begehrtesten Zielen weltweit. Und wir, das heißt, meine Frau und ich, verstehen nach diesem Besuch auch, warum. Nicht zuletzt ist es die Unaufgeregtheit dieser Stadtbevölkerung und die sichtbare Toleranz, die allerdings nur scheinbar zu sein scheint. Wie sonst hätte es nur Tage nach unserer Reise zu den blutigen Unruhen auf dem Taksim-Platz kommen können, wo die Minderheit der liberalen, säkularen oder toleranten Eliten gegen die schwindende Toleranz der religiösen Mehrheit unter einer religiös geprägten Regierung aufbegehrte.   

 

Zu den Bildern dieser Galerie:

Die Bilder Nr. 2,3, 5, 10-12 verstörten mich doch ein wenig. Ich war natürlich darauf eingestellt, dass inzwischen viele Frauen wieder ein Kopftuch in der Öffentlichkeit tragen, doch die große Zahl von Frauen in Tschador oder Burka überraschte uns. Im Gegensatz zu den meisten Kopftuch-Trägerinnen sind diese verhüllten Wesen jeden Alters fast scheu und ängstlich, und sie verdecken was auch immer von ihrem Gesicht zu sehen ist, sobald eine Kamera auf sie deutet. Manche dieser Damen waren so verhängt, dass sie gerade noch ein Auge riskieren konnten (Bild 2). Bild Nr. zehn zeigt Touristen und gelangweilte Kinder in der Hagia Sophia. Nr. 11 einen der wohl-genährten türkischen Kater, der die Anwesenheit einer langen Besucherschlange vor der Zisterne nutzte, um  Futter abzustauben. In keiner Großstadt der Welt habe ich auch nur annähernd so viele Katzen gesehen, wie in Istanbul. Und niemand kann sich diese ungewöhnliche Zuneigung einer ganzen Stadt erklären. 

 

Nächtliches Intermezzo 

Bei Nacht sind die am Tage so belebten Gassen im Stadtteil Fatih fast menschenleer. Andenkenhändler schließen ihre Geschäfte, Urlauber sitzen im Restaurant oder legen ihre von Besichtigungen im hügeligen Istanbul müden Beine hoch. Schon gegen 2300 Uhr kommen Müllabfuhr und Straßenreinigung, und zuvor tauchen aus dem Dunkeln die obligatorischen Katzen auf, um in den Abfällen nach Fressbarem, zu suchen. Bild 2 entstand bei extrem spärlichem Licht. Beide Katzen wurden übrigens fündig. Die nächsten drei Bilder zeigen Taxifahrer vor einem kaum erleuchteten Taxistand.  Zum Schluss der Blick in ein geschlossenes Lokal, wo der Koch wohl vergessen hat, das Licht zu löschen. Für mich ein Szenario wie aus einem Krimi. Und um Mitternacht ein Blick aus unserem Hotelzimmer auf die Blaue Moschee. Wo wir jeden Morgen von den rivalisierenden Gebetsrufen der Muezzin geweckt wurden.

 

 

 

Grand Bazar und Irrwege in Fatih

Der Große Bazar gehört zu den absoluten Touristenattraktionen Istanbuls. Der vollständig überdachte Markt lockt jedoch nicht nur Urlauber an, die von den Verkäufern auf Schritt und Tritt zum Kaufen oder auch nur zum Anschauen aufgefordert werden, auch wenn sie inzwischen klar die Mehrheit der Besucher stellen. Wer hier einkaufen möchte, der MUSS handeln, sonst muss er maßlos überhöhte Preise zahlen. Doch das gehört eben zu einem orientalischen Markt.    Türkische Konsumenten kaufen lieber in den Geschäften vor dem Markt, die sich - fein säuberlich aneinandergereiht - je nach Sparte auf die verschiedenen Straßen verteilen.  So gibt es eben eine Straße der Schrauben, eine der Geschäftsdekorateure, der Hochzeitsausstatter und andere. Und überall Baustellen. In den Hinterhöfen machen die Männer Siesta (samt Katze, Bild 14) und spielen Karten. In einer andere Straße warten Tagelöhner auf Gelegenheitsjobs (Bild 33/34). Wer keinen ausgeprägten Orientierungssinn hat (wie wir), der kann sich im Gewirr der Gassen schnell verlaufen. Doch so mancher Irrweg führt zu überraschenden Einblicken und Aussichten. Und am Ende führte der Irrweg zurück ins Hotel.

 

 

 

 

 

Istanbuls Bookinisten, eine große Moschee und zahllose Katzen 

 Vor dem hübschen kleinen Büchermarkt (Sahaflari Carsisi) hinter dem Großen Basar  treffen sich die alten Männer, die - wie alle alten Männer im Orient - Zeit und Geduld haben

 

Nach dem Besuch des Großen Basars empfiehlt sich ein Spaziergang zum nur wenige Minuten entfernten Antik-Büchermarkt. Der kann zwar nicht mit den Bookinisten am Pariser Seine-Ufer mithalten, doch liegen die Geschäfte mit ihren sehr hohen Regalen sehr hübsch zwischen schattigen Bäumen. Anders als der große Basar ist dieser kleine Markt nicht überlaufen, und unter den Bäumen, oder im kleinen Café am Ausgang treffen sich die Händler, überwiegend ältere Männer, auf ein Schwätzchen und einen heißen Tee. Mittendrin - wie überall in Istanbul - kleine Katzen, die hier schon ein bisschen schlanker sind, als im klassischen Touristenviertel.

 

 

 

 

Ein Schwätzchen vor dem Gebet und fliegende Tauben 

 

"Frauentag" in der Moschee? vor der Süleimaniye Camii treffen sich am Freitagmittag die Frauen. Ob zu einem Schwätzchen oder zum Gebet?

Sie gilt als eine der bedeutendsten Moscheen Istanbuls, und für mich war sie die vielleicht schönste der Metropole, deren Kuppeln man auch vom Bosporus oder vom Goldenen Horn sehen kann.  Und wenn man von hier in die kleinen Seitengässchen eintaucht, hat man oft ganz unverhofft einen wunderschönen Blick aufs Wasser oder den Stadtteil Beyoglu am anderen Ufer des Goldenen Horns. Im öffentlich zugängigen Garten der Moschee findet man inzwischen - ganz unheilig - junge Pärchen. Alle möglichen Tiere flitzen über den gepflegten Rasen.  Offensichtlich haben sich die Damen nicht zum Gebet verabredet. Das scheinen die wenigen Männer zu übernehmen, die sich an da zahllosen Wasserhähnen vor der Moscheee fürs Mittagsgebet reinigen. Eine alte Frau, ganz in Schwarz und mit einer eher bäuerlichen Erscheinung, sitzt auf einem Mäuerchen in der prallen Sonne und redet intensiv auf ihr Handy ein. Draußen, auf dem Platz vor dem Moscheegelände, sitzen Junge Leute auf Bänken, schreiben auf ihren Notebooks oder Tablet-PCs. Die Universität ist ganz in der Nähe.

 

 

Kein Zickzack auf dem Bosporus 

 Elegant: Die Brücke über den Bosporus, die Europa mit Asien verbindet. Die Brücken über diese Wasserstraße sind oft völlig überlastet. Ein inzwischen fertiggestellter neuer U-Bahn-Tunnel unter dem Wasser soll sie in Zukunft entlasten.

 

 Wer Istanbul besucht, der sollte sich für eine Fahrt auf dem Bosporus genügend Zeit nehmen. Am besten und billigsten fährt, wer die öffentlichen Fähren benutzt, mit denen man die Meerenge nach eigenem Zeitplan im Zickzack abfahren kann. Vor allem bei schönem Wetter bieten sich dem Auge hier immer wieder unerwartete Perspektiven.  Barocke Paläste auf der einen Seite, auf der anderen  eine kleine Moschee im Schatten eines Brückenpfeilers, bewaldete Hänge, elegente Dörfer und Stadtteile für Menschen mit dickem Portemonaie - und immer wieder diese schier unendliche Karawane von Frachtschiffen und das gelegentliche Kreuzfahrtschiff, das seinen mehrere Tausend Köpfe zählende Inhalt für ein paar Stunden am Anleger nahe der Galatabrücke ausgespuckt hat. Wir hatten uns dennoch für eine Rundfahrt entschieden, und hätten uns doch gewünscht, einmal aussteigen und an Land gehen zu können. Etwa am Anleger des Leanderturms (Mädchenturms, Bilder 5 und 6). Übrigens: Menschen mit wenig Kopfhaar sollten bei einer solchen Fahrt auf keinen Fall eine Kopfbedeckung vergessen. 

 

 

 Zu den Bildern dieser Galerie: Nicht nur Touristen benutzen die Sightseeing-Schiffe (Bilder 1-4). Wasserstraßen haben die angenehme oder unangenehme Eigenschaft, häufig im Dunst zu liegen. Das erschwert zwar den klaren Blick, ergibt aber sehr häufig besonders malerische Bilder! (5-8 und 31/32), Leben an der berühmten und ursprünglich von Deutschen gebauten Galata-Brücke, die inzwischen durch einen parallelen Neubau Konkurrenz bekommen hat (Bilder 9-16 und 32). Spaziergang auf der Isteklal- Einkaufsstraße (Bilder 17-30).

 

 

Am Goldenen Horn

 

 Die berühmten Angler auf der Galata-Brücke. Nur ein kleiner Teil angelt hier wirklich zum Vergnügen. Die meisten dürften ihren täglichen Fang an Restaurants verkaufen, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen

 

Natürlich wurde die doppel-stöckige Galata-Brücke schon millionenfach fotografiert. Aber trotz der zahllosen Touristen, die hier mit ihren Kameras Jagd auf die besten Perspektiven machen, ist das Bauwerk natürlich allein schon sehenswert. Noch mehr aber die Ausblicke, die man von hier auf den Bosporus, das Goldene Horn, die Hügel des Stadtteils Fatih mit seinen Moscheen und natürlich die "andere Seite" , den Stadtteil Beyoglu, hat. Hier drängen vor allem nachmittags Zehntausende von den Fähren und am Busbahnhof in die Busse oder die moderne Straßenbahn. Am Abend dann füllen sich die Restaurants im Untergeschoß der Brücke. Dazu die Kakophonie der quäkenden Lautsprecher aus Kofferradios und der Geruch von Bratfisch oder fett-gebackenem. Klar: Hier könnte man Stunden oder Tage verbringen. Und dies immer wieder!

  

 

Brieftauben-Markt

Istanbul wurde nicht an einem Tag erbeut, und wie kann man dann eine solche rieisge Stadt in ein paar Tagen erkunden? Teil unseres erkundungsplans für 5 Tage war das einst der absoluten Oberschicht vorbehaltene Viertel Fener im Stadtbezirk Fatih, das häufig auch als jüdisches Viertel bezeichnet wird, obwohl in Fener auch das religiöse Zentrum der Christen von Istanbul lag. Inzwischen sind große teile Feners verfallen. Spekulanten haben verlassene Holzhäuser im typischen Baustil gekauft und wollen - dem Bauboom in der Stadt folgend, hier ein modernes Wohn und Büroviertel errichten. Inzwischen hat sich aber die UNESCO des Falles angenommen und zahlreiche Häuser unter Denkmalschutz gestellt.  Bei meinem Spaziergang, wenige Stunden vor der Rückreise, landete ich nicht nur in einem entlegenen Viertel von Fener mit zahlreichen zerstörten Häusern, ich entdeckte auch einen versteckten Markt für Brieftauben. Auch hier, wohin sich vermutlich nur selten Touristen verirren, wurde ich von den Menschen äußerst höflich und freundlich empfangen und konnte ohne Beanstandung fotografieren.  

 

 Ein Spiegel im Käfig? Nur ein kleines Fenster für Brieftauben mit Durchblick!

 

Alle Bilder und Texte Copyright Christian Fürst, 2013