Woche 05 Gourmandise

Gourmandise am See

 

 

Großer Segeberger See am 03ten Februar 2013 

Still ruht der See in fahlem Winterlicht. Einige wenige, leichtgewichtige Möwen ruhen sich aus auf den verbliebenen, hauchdünnen Eisschollen, die das Tauwetter noch nicht hat erweichen können. Vom Seeufer steigt der Weg leicht an, um den Friedhof zu durchschneiden und um die Marienkirche herum ins Zentrum der kleinen Stadt zu führen, die seit langer Zeit Bad Segeberg heißt. Sie ist fast ausgestorben in diesem regnerischen Sonntagnachmittag. Nur wenige Menschen eilen, um in einem Cafè zu verweilen oder Süßes zu erstehen. An einer Ecke an der Durchfahrt zu einem Hinterhof hat sich ein Imbiss eingerichtet, der als schäbig bezeichnet werden kann, wahrscheinlich ohne das der Besitzer Widerspruch einlegen würde. Verwaist ist die einzige Gaststätte, die noch geöffnet ist. Während es zu späterer Stunde leicht zu schneien anfängt und die Dämmerung sich über die Stadt und den See legt, beginnt in der Küche des Seehotels, einem nicht unbedingt schön zu nennenden hohen Komplex am Ufer, die Küchenbrigade mit den letzten Vorbereitungen für ein Menü der besonderen Art. Es ist Teil des 26sten Schleswig-Holstein-Gourmet-Festivals. Der Gastkoch ist eine Köchin, Anna Matscher aus Tisens bei Bozen, die einzige Frau die sich dort einen Stern im Michelin erkochen konnte, der roten Bibel der Gourmets und Gourmands oder derer, die sich für das eine halten und doch das andere sind..

Anna Matscher - Autodidaktin & Sterneköchin

Anna Matscher am 03ten Februar 2013  in Bad Segeberg 

Steil geht der Weg von Nals den Berg hinauf aus dem Tal der Etsch bis man nach zahlreichen Kurven den kleinen Ort Tisens gefunden hat. Am Wegesrand zeugen traumhaft schöne Burgen von dem Reichtum, der hier wohl schon immer gegeben war, oder den man sich mittels Wegezoll genommen hatte. Dort steht wohl schon seit einigen Jahrhunderten ein Haus, in dem seit langer Zeit das Wirtshaus "Zum Löwen" seine Gäste empfängt. Sehr gut empfängt und noch besser verköstigt, seit hier Anna Matscher Regie führt. Sie war es leid, mitansehen zu müssen, wie die Pächter in dem Haus der Eltern die Wirtschaft immer weiter verkommen ließen und hängte ihren Beruf als Masseurin an den Nagel. Ihr Mann, Banker von Beruf, tat es ihr nach und so begannen die Zwei eine neue Karriere. Der Sprung ins kalte Wasser glückte. Anna brachte sich selbst  bei, was  andere mühsam in vielen Lehrjahren vermittelt bekommen. Natürlich schaute sie auch mal bei ihren routinierten Kollegen vorbei und nahm diese und jene Anregung mit nach Hause an den heimischen Herd. Ihr Mann sorgte sich derweil um den Aufbau eines Weinkellers. Stetig ging es bergauf, die Fangemeinde wuchs und irgendwann war es so weit. Anna Matscher erhielt als erste und bislang einzige Frau in Südtirol einen begehrten Stern des Michelin. Wer das Privileg hatte, im "Löwen" ein "Menü regional" oder das eher experimentierfreudige "Menü kreativ" genossen zu haben, weiß wie sehr dieser Stern zu Recht verliehen wurde. Irgendwann wurde alles ein wenig eng in dem alten Haus. Und so wurde die Wirtsstube zur Küche, der Wirtschaftseingang und ein alter Stall zu Gasträumen - leicht und luftig mit viel Glas der eine, rustikal-gemütlich der andere. Nun hat alles seine Ordnung. 

 

Wie AP die Kunst der Anna Matscher vor Ort beurteilt. Dazu mehr hier bei NewsAndMore-Mediaservice

Kunst aus Südtirol
 
  

Graukäse-Fonduta im Filoteig gebacken

 auf Salat von Walnüssen, Birnen und Granatapfelkernen

 

An einem fremden Herd mit einer unbekannten Brigade für kritische Gäste eines Gourmet-Festivals zu kochen ist ungefähr so, als wenn ein Musiker das Risiko einginge, in einer fremden Stadt mit unbekannten Begleitmusikern ein Solokonzert zu geben und das mit einem geliehenen Instrument - so umschrieb Christian Fürst das Unterfangen der Anna Matscher. Die machte sich auf den langen Weg aus den Südtiroler Bergen in die norddeutsche Tiefebene - wagte und gewann, und mit ihr die Gäste im Seehotel, die für einhundertundvierzig Euro das folgende Menü inklusive aller Weine, des Champagners zum Auftakt, edlen Barrique gereiften  Grappas und des obligaten Espresso zum Schluss bekamen. Für das norddeutsche Flachland mit den eingesprengselten Hügeln ist dies günstig zu nennen. Zu Hause in Tisens hat man damit fast die Obergrenze erreicht, allerdings bei freier Wahl der Weine in einem ähnlichen preislichen Segment... 


           

       

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 Corriger la Fortune

     

Die Lösung der Rätselfrage, was denn am besten geschmeckt habe, ergab ein eindeutiges, unumstößliches: Die Cannelloni! Sie konnten als Gesamtkunstwerk von keinem anderen Gericht, wie fantastisch auch immer, erreicht oder gar übertroffen werden. Zu fein waren die Geschmacksnuancen abgestimmt. Zu perfekt Konsistenz, Temperatur und vor allem auch die Optik. Mit Leidenschaft diskutiert wurden zwei Details. Hatte Anna Matscher einen Schuss Alkoholisches spendiert und wenn ja, was? Und vor allem: Wie kann eine Füllung aus Gänseleber so fein, so extrem geschmacksintensiv, schmelzig-geschmeidig sein. Eine Frage wurde sofort nach Abschluss des Menüs beantwortet, als die Köchin völlig entspannt an den Tisch kam, so als wäre sie gerade von einem Spaziergang an den See zurückgekommen. Ja, ein Schuss Sherry sei da wohl mit im Spiel gewesen. Das war verräterisch und ließ kriminologische Energie frei werden. Sherry passt doch hervorragend zu Gänseleber, aber der von gestopftem, gequälten Federvieh unserer westlichen Nachbarn. Also noch einmal ein Blick auf die Karte. Kein Zweifel, das steht Gänseleber und nicht Gänsestopfleber. Auslassung oder Flucht in den Etikettenschwindel? Ein erster Sieg der Tierschützer in ihrem jüngsten Feldzug? Die Antwort mag je nach Weltsicht unterschiedlich ausfallen. Der Autor allerdings hat gerne, dass drin ist, was drauf steht. Und auch wenn ihm eine große Gaumenfreude entgangen wäre, er hätte beim Wissen um die Inhaltsstoffe sicherlich gerne auf diesen Gang verzichtet.

 

Und so steht es auf der Speisenkarte des "Löwen" in Tisens in der Fassung vom 6ten Februar 2013:

"Cannelloni mit Gänsestopfleber gefüllt auf ansautierten Champignons und Trüffelschaum."


Mehr über Anna Matscher und Ihr Gasthaus finden Sie hier:  www.zumloewen.it/ 

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Die Weine des Alois Lageder


 

Es ist noch nicht sehr lange her, da stand der Name Alois Lageder in Südtirol  symbolhaft  für den Wandel von Masse zu Klasse. Er zeigte ganz entscheidend und entschieden und mit viel Charisma den Weg auf, wie sich Südtirol aus einem archaischen Land billigster Massenweine, meist aus der Rebsorte Vernatsch, wandeln konnte in ein Gebiet, aus dem fast nur noch sehr gute bis exzellente Tropfen stammen. Jahr für Jahr überschlagen sich die italienischen Weinführer in ihren Lobpreisungen südtiroler Winzer und Kellereigenossenschaften. Schleichend war es still geworden um den kunstsinnigen Winzer Lageder aus Margreid kurz vor der deutsch-italienischen Sprachgrenze, der Salurner Klause. Und irgendwann verlor auch AP das Interesse an den Weinen, die sich immer weiter von ihren großen Vorgängern entfernten und in Beliebigkeit verloren. Und dann geschah es, dass eines Jahres Alois Lageder nicht mehr auf den Hauptseiten des Gambero Rosso, des wohl populärsten italienischen Weinführers erschien. War aus dem Visionär Lageder schleichend ein Beharrer geworden, der sich auf seinen Meriten ausruhte, fragten sich die Freunde seiner Weine?

 

So ist dem Direktor des Seehotels in Bad Segeberg, Guido Eschholz, der in seltener Personalunion auch Chefsommelier ist, zu danken, dass er den Abend ausschließlich den Weinen der Tenuta Lageder widmete - aus dem unteren Preissegment, was bei der engen Kalkulation verständlich und gerechtfertigt erscheint. Das Urteil kann leider nicht so positiv ausfallen, wie vielleicht erhofft. Alle Weine waren sauber vinifiziert und wiesen eine befriedigende Sortentypizität auf, wie man es vom Hause Lageder und den Preisen im Handel zwischen zehn und fünfzehn Euro pro Flasche auch erwartet. Kein Wein jedoch kam über ein "ordentlich" hinaus. Zwar passten sie alle irgendwie zu den Speisen, die sie begleiten und unterstützen sollten, passten aber irgendwie auch wieder nicht optimal. Hier zeigte der Pinot Grigio zu wenig Spritzigkeit, dort der Lagrein zu wenig Tannin und Säure, die man ihm mit dem beigemischten Merlot abgwöhnt hatte, um ihn geschmeidiger und früher trinkreif zu gestalten. So entstehen Weine internationalen Zuschnitts, bei denen das Attribut Terroir aber wie ein Fremdwort klänge, die aber auf harte Konkurrent stoßen. Trotzdem ist eines deutlich: Lageder meldet sich  zurück, wie er es vor allem auch mit seinen Topweinen zeigt, die wieder in die Oberliga aufgestiegen sind.  

 

Mehr über den Weinmacher Alois Lageder aus Margreid in Südtirol gibt es hier: www.aloislageder.eu/

Dank und Lob

   

Eine Solistin macht kein Gourmet-Festival - jedenfalls nicht ohne Begleitung. Hochprofessionell, charmant und liebenswert und mit erkennbar viel Freude an ihrem Tun waren die Brigaden an der Arbeit. In der Küche hielt der langjährige Chef, Heiko Zimmat, die Fäden in der Hand. Er schien sich gut mit der Gastköchin Anna Matscher zu verstehen - Akzeptanz und Professionalität auf Augenhöhe. Quirlig aber nie gestresst, immer bestens informiert, hilfsbereit und aufmerksam der Service, den man gerne auch in manchem Zwei-Sterne-Restaurant so erleben möchte. Sie alle machten den Abend erst zu einem besonderen Ereignis. 

Wie der Abend endete, so nahm der Tag einen wunderbaren Anfang.  Mit Freuden akzeptierte ein hilfreicher, charmanter Geist die Bestellung für Spiegeleier "easy over" mit allem, was dazu gehörte von den Charlotten, über Tomaten, feine Paprikawürfel, Champignons und Schnittlauch.  Das ist zeit- und arbeitsintensiv und will gekonnt sein. So gut schmeckte mir kein Frühstück mehr - seit Toronto 1992. Der Anblick des Sees im Morgengrauen machte den Abschied nicht leichter.

 Das Städtchen am See

 Text und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2013

 

Mehr zum Schleswig-Holstein-Gourmet-Festival und dem gastgebenden Hotel VITALIA Seehotel:

 www.gourmetfestival.de/

www.vitaliaseehotel.de/

 

Wen es in die Stadt der Karl-May-Festspiele ziehen sollte:

 www.bad-segeberg.de/startseite.phtml

de.wikipedia.org/wiki/Bad_Segeberg

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