Woche 21 Elbjazz 2013

Ein Fest im Hafen

Jazz, Pop, Show, Fußball und ganz viel Regen

 

 

Sie saßen da wie Teenies bei einem Auftritt von Justin Bieber mit geschlossenen Augen und verzückten Mienen. Bereits nach dem ersten Stück stießen sie spitze Schreie aus und applaudierten frenetisch - erwachsene Frauen in seriöser Erscheinung führten sich auf, als seien sie wieder vierzehn, kurz vor der Ohnmacht wie anno dazumal bei den Pilzköpfen. Vor den geschlossenen Türen tobten einige zu spät gekommene Fans, schlugen gegen Pforten und Fenster und gaben ihrem Unmut schrill pfeifend derart lautstark Ausdruck, dass der Mann an dem polternd klingenden Piano seinen pseudo-musikwissenschaftlichen Vortrag abbrach - sie wurden dennoch nicht mehr eingelassen. Die Fischauktionshalle an der Elbe in Hamburg war das, was man rappeldickevoll nennt. War es der Anblick eines schmuddelig im Morgenmantel und Pantoffeln an das Piano gelümmelten Musikers oder tatsächlich seine Musik.

Chilly Gonzales ist möglicherweise wirklich ein Könner an den Tasten und wurde von den Elbjazz-Verantwortlichen entsprechend angekündigt, als sei er der Messias. Ähnlich wie das vermeintliche Zugpferd des Vorjahres, Helge Schneider, mit dem er 2012 ursprünglich hätte spielen sollen. Gezeigt hat er relativ wenig von dem Multitalent, das ihm auch vom Moderator zugeschrieben wurde, wobei sein Rekord im Dauerspielen von 27 Stunden höchstens für eine bemerkenswerte Kondition und nicht unbedingt für die Qualität der gebotenen Musik spricht. Gonzales dozierte lieber und ausgiebig über den Unterschied zwischen den Tonarten Dur und Moll. Das tat er durchaus mit Witz, wobei seine Meinung, Dur sei langweilig, glücklicherweise nicht von allen Komponisten der Musikgeschichte geteilt wurde und wird. Was er nebenbei dem Flügel entlockte, und von einem Streichquartett süßlich begleiten ließ, war - man möge mir verzeihen - bestenfalls gehobene Barmusik.

Man kann nur hoffen, dass der Kanadier seine Ankündigung nicht wahr macht und im nächsten Jahr wiederkommt. Vielleicht tritt ja an seiner Stelle der genannte Justin Bieber auf. Den durchaus mutigen Veranstaltern ist es zuzutrauen. In ihrer ersten Pressemitteilung nach dem Abschluss des Festivals fehlt jeder Hinweis auf den angekündigten Superstar Chilly Gonzales. Und auch der vorgebliche Megastar Jamie Cullum, wurde nur knapp abgehandelt, das jugendliche Wunder aus Großbritannien, der am Vorabend seines Auftritts noch bei der Verleihung des "Echo" das Publikum verzückt hatte. Vielleicht ist man bei der Rückschau zu der Überzeugung oder Einsicht gekommen, dass große Namen alleine noch keinen Jazzsommer machen.

 

Die Stimme - Die BigBand

Vor einem Jahr von AP noch als "Rentnerband" geschmäht, der die Lust an der Musik mit dem Übergang zu einer öffentlich rechtlichen Musikgruppe abhanden gekommen sei, präsentierte sich die Big Band des Norddeutschen Rundfunks zum Auftakt des Elbjazz Festivals in grandioser Spiellaune und begleitete mit exzellenten Arrangements einen Sänger, von dessen musikalischer Statur es nicht viele gibt: Stefan Gwildis. 

 

Er ist nicht mehr ganz taufrisch und erst spät ins jazzig-poppige Metier eingestiegen, der stämmige Herr mit den grauen Schläfen. Er weiß diese Attribute perfekt einzusetzen und singt mit viel Charme und gewaltiger Stimme, als wolle er die Herzen aller Frauen erobern - was ihm offenbar schon vor dem ersten Ton gelungen schien auch wenn manche Geste und die eine oder andere Ode an das Publikum überzogen daherkamen. "Fly me to the moon" in angenehmer deutscher Adaption oder noch feiner "Circles of your mind", die Musik aus dem grandiosen Film "The Thomas Crown Affair" begeistern das Publikum. Ob der mehrfach "..ungeküsste Kuss" allerdings des Textdichters letze Weisheit ist, mag dahingestellt sein. Die Stimmung in einer Halle der zur Zeit gut beschäftigten, Werft Blohm & Voss am Südufer der Elbe jedenfalls könnte nicht besser sein - die Musik auch kaum.

Bravissimo - Joshua Redman

 

Ein bravo möchte man auch den Elbjazz-Verantwortlichen zurufen, diese Ausnahmeerscheinung der internationalen Jazzszene nach Hamburg geholt zu haben. AP kann sich nicht erinnern, seit den Zeiten eines John Coltrane derartig fesselnde Musik im Konzert gehört zu haben. Gershwin's "Summertime" zum Auftakt mal lyrisch, mal druckvoll ließ den Wunsch aufkommen, dieses Konzert möge nicht enden. Redman schenkte sich nichts und war nach einem ersten, fantastischen Solo völlig ausgepumpt.

  

Über Charlie Parker schrieb nach dessen frühem Tod ein bekannter amerikanischer Jazzkritiker: "...und wenn Parker Klempner geworden wäre, er hätte Großartiges vollbracht." In Abänderung kann man schreiben, Joshua Redmann würde auch aus "Hänschen klein"  grandiose Musik zaubern: "Hänschen groß" sozusagen. Dass er mit viel Charme und Humor ausgestattet ist, zeigte er, als sein Handmikrofon nicht funktionierte. Er beugte sich zu seinem Instrumentenmikrofon, wobei er sich mächtig verbiegen musste, und meinte, er habe eine ganze Reihe wunderbarer Jazz-Witze erzählen wollen - auf Deutsch. Leider könne er das in dieser Haltung nicht machen...

  

Und auch die Musiker der klassischen Begleitung Klavier, Bass und Schlagzeug zeigten bei Soloeinlagen, zu welch grandiosen Können sie in der Lage waren - jeder für sich ein Star aber ohne Allüren mit hör- und sichtbarer Freude am Spiel, profundem Können und genialer Musikalität. Bitte Wiederkommen möchte man ihnen zurufen.

Sie sind läßlich, die kleinen programmatischen Sünden, an denen auch das Elbazz Festival in seinem vierten Jahr nicht ganz vorbeikam. Perfektion für jeden Geschmack ist schlechterdings auch nicht machbar und vielleicht auch nicht erstrebenswert. Den Veranstalter ist jedenfalls erneut ein großartiges Fest gelungen mit einer Verlagerung der Spielstätten in Richtung Westen hin um die Fischauktionshalle. Schade um das Hafenmuseum mit seiner originären Atmosphäre einerseits, erfreulich andererseits jedoch um die geringere Belastung der Umwelt durch offenbar deutlich reduzierte Fahrten der Barkassen. Sehr löblich für ein Festival, das einmal antrat, ein "grünes" Fest zu sein. Dass mit dem Wettergott in nördlichen Breiten nicht zu spaßen ist, bekam das Festival knallhart am zweiten Tag zu spüren. Fünftausend weniger zahlende Besucher als noch im Vorjahr ist schmerzhaft, hat aber nicht nur mit den meteorologischenBedingungen zu tun. Am 25sten Mai blickten eben nicht nur alle Fußballfans  sondern auch  Jazzbegeisterte nach Wembley. Ob es da wirkllich sinnvoll war, neben die Spielstätten bei Blohm & Voss Fußball auf einer Großleinwand zu übertragen, mag bezweifelt werden. Die zu dieser Zeit angesagten Musiker dürften sicherlich nicht sonderlich glücklich gewesen sein - wie auch immer schön die Veranstalter sich die Situation redeten. Und noch ein kleine Disharmonie fiel auf: Es gibt offenbar einen Konfektionär, der sich den pfiffigen oder je nach Sichtweise albernen Namen "Herr von Eden" zugelegt hat.

 

Er stattete die Moderatoren/In von Elbjazz mit Klamotten nach Maß aus - von geckenhaft bis krampfhaft seriös war für jeden etwas dabei. Ob ein so grandioses Festival derartige Einlagen in Karnevalsmanier wirklich nötig hat, die vom Publikum bei der Nennung des Namens "Herr von Eden" auch deftig ausgepfiffen und verlacht wurden, mag man bei der Nachbesprechung an der großen Elbstraße gerne diskutieren. Lernfähig, so haben die letzen Jahre gezeigt, ist man bei Elbjazz allemal...

Lernfähig und vor allem enorm kreativ wie auch die Gestaltung der diesjährigen Plakate zeigte, die personalisiert wurden. Fast omnipräsent  erscheint das Festival und vor allem seine umtriebige Leiterin in den Wochen und Monaten vor  dem eigentlichen Festival. Und an den beiden Fest(ival)tagen selbst kann man durchaus den Eindruck gewinnen, Elbjazz habe die Stadt gepachtet. Die spielt mit und schießt 100-tausend Euro zu. Viel Geld, das bei den Ansprüchen, die die Macher an sich selbst stellen, kaum ausreicht. Vielleicht könnten oder sollten in Zeiten knapper öffentlicher Kassen auch im Jazz mal wieder kleinere Brötchen gebacken werden.

Wer Lust auf mehr hat sollte die Homepage von Elbjazz besuchen:  www.elbjazz.de

Es lohnt sich. Vor allem, nachdem die Seite ein Lifting erhielt und nicht mehr gar so düster daherkommt:

 

Bilder und Texte copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2013