A Nackerter im Hawelka?

A Nackerta im Hawelka - Einstiges Wiener Künstlercafé als Touristenmagnet

von Christian Fürst, nmms

Jahrelang traf sich hier die Creme der Wiener Kunst- und Literaturszene. Seit Mitte der 1950er Jahre war das Café Hawelka in der Dorotheergasse 6 "der" Anziehungspunkt für Wiens Geisteswelt: Friedrich Torberg trank dort seinen Mocca und verewigte das kleine Kafeehaus in seiner "Tante Jolesch". Auch Gerhard Rühm kam hierher und seine Schriftsteller-Kollegen Elias Canetti, H.C. Artmann oder Heimito von Doderer. Die berühmten Maler des phantastischen Realismus, Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser, der Bildhauer Alfred Hrdlicka, und natürlich auch der grantelnde Schauspieler Helmut Qualtinger ("Der Herr Karl").

Das Lokal von Leopold Hawelka (Jahrgang 1911) war in jenen Jahren so berühmt, dass dort Leute wie Henry Miller, Andy Warhol und andere gerne vorbeischauten, wenn sie in Wien Station machten. Auch der Dirigent Nicolaus Harnoncourt oder André Heller gehörte zu den Gästen. Und selbst Deutschlands einstiger Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki durfte da nicht fehlen.

Doch dann wurde das Hawelka wohl zu berühmt. Es kamen zu viele Touristen und vermutlich auch zu viele Wiener, die ein wenig die Atmosphäre und die Nähe der Künstler spüren wollten. Die Schriftsteller und Maler zogen weiter. Die Künstler hinterließen ein paar Originale, die bis heute an den dunklen Wänden des Cafe`s hängen.

Doch die Touristen haben "dem Hawelka" die Treue gehalten. Mehr Wien-Besucher als je zuvor kommen zurzeit in die Dorotheengasse; nicht wenige, um die berühmten Buchteln (nach dem Rezept der böhmischen Schwiegermutter des Herrn Hawelka) ab 22.00 Uhr zu probieren. Berühmt-berüchtigt wurde das Lokal aber auch durch das Lied "was macht a Nackerta im Hawelka", mit dem Georg Danzer sich Anfang der 1970er Jahre ironisch über das 100 Quadratmeter große Trend-Café ausließ (siehe Info-Kasten auf dieser Seite).

 

 

Der erste Blick: Gleich gegenüber der Eingangstür. Inzwischen wurde das Hawelka vorsichtig renoviert, aber der Charme des Cafés ist geblieben

 

Eng geht es zu, im Hawelka. Wer von der Toilette kommt muss aufpassen, nicht gleich über diesen Gast zu stolpern. An der Wand ein Foto vom Herrn Hawelka

 

Bereits 1939 wurde das Café Hawelka von Leopold Hawelka eröffnet. Hawelka hatte zuvor seit 1936 das Kaffee Alt Wien in der Bäckerstraße betrieben und übernahm dann im Mai 1939 zusammen mit seiner Frau Josefine das Lokal in der Dorotheergasse. In seinem Buch "Unser Wien - 'Arisierung auf österreichisch'" schreibt Autor Stephan Templ, dass sich Leopold Hawelka nach dem "Anschluss" Österreichs unter den "Arisierungsanwärtern" für das Cafe "Gross" befunden habe, bevor er am 15. Mai 1939 das Cafe "Ludwig Carl" in der Dorotheergasse erwarb. Nach Ausbruch des Krieges musste das Café aber gleich wieder schließen, da Leopold zur Wehrmacht eingezogen wurde. Im Herbst 1945 wurde es in dem weitgehend noch intakten Gebäude von den Hawelkas wieder eröffnet.

 

Jahrzehntelang wurde kaum etwas verändert im Hawelka. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum das Lokal bis heut so erfolgreich ist

 

 

 

 

Die Seele des Hawelka war Leopolds Frau Josefine. Sie regierte und organisierte ihr Café mit schier unerschöpflicher Energie. Josefine sorgte stets dafür, dass die ihr sympathischen Gäste auch noch einen Platz fanden. Dafür mussten dann schon mal die anderen Gäste etwas zusammenrücken. Die zierliche und doch so resolute Frau schleppte Stühle, oder half den Herrn Obern, wenn das Café mal wieder brechend voll war. Und wenn der letzte Gast das Lokal lange nach Mitternacht verlassen hatte, dann setzte sich Josefine hin und machte noch die Tagesabrechnung. Alte Stammgäste erzählen sich noch heute Anekdoten über die Chefin, die offenbar reichlich garstig sein konnte, wenn ihr ein Gast nicht gefiel (und dies geschah nicht unbedingt selten....). 

Frau Hawelka starb 2005. Nicht wenige glaubten, dass ihr Tod nun das Ende des Traditionscafés einleiten würde. Freunde fürchteten auch um den damals 94-jährigen Leopold Hawelka. Würde er den Verlust nach rund 70 Ehejahren ertragen können?

Doch Leopold belehrte alle eines Besseren. Im April 2011 feierte er stolz seinen 100. Geburtstag und besucht auch heute noch regelmäßig und natürlich stets korrekt gekleidet sein Café, auch wenn er inzwischen doch schon etwas schneller ermüdet und er auf dem rot-goldenen Sofa neben der kleinen Café-Küche immer wieder einnickt.

 

Leopold und Josefine Hawelka. Josefine starb 2005, doch "das Hawelka" überstand auch diese Krise und ist heute beliebter denn je. Vor allem bei Touristen.

Dies ist die Abbildung einer Postkarte, die im Hawelka für Gäste köstenlos ausliegt.

 

100 Jahre und ein bisschen leise. Leopold Hawelka Mitte Oktober 2011 im Hawelka

Das Künstler-Cafè "Alt Wien" in der Bäckergasse. Hawelka leitete das urige Lokal von 1936-1939

 

Inzwischen hat Hawelkas Sohn Günter die Leitung des Lokals übernommen und das Café immerhin sorgfältig renovieren lassen.  Die Wände sind nun deutlich heller tapeziert und die Polsterungen der Sessel und Sofas in warmen Rot-Gold-Tönen gehalten. Unter seiner Leitung beugte sich das Hawelka auch dem Druck des Gesetzgebers und erklärte das Café zum Nichtraucher-Lokal.

Noch vor wenigen Jahren hatte sich Hawelka lautstark gegen ein Rauchverbot in der Gastrononomie gestellt und sich demonstrativ allen Anordnungen widersetzt. Das Argument: Das Hawelka könne nicht überleben, das es zur Teilung in Raucher- und Nichtraucher-Bereich zu klein sei. Doch inzwischen haben sich auch in dem Traditionslokal die Gemüter beruhigt. Sämtliche Aschenbecher sind von den Tischen verschwunden, und der Besucherandrang "ist eher noch größer geworden", sagt der Oberkellner Herr Visar. Kein Wunder, denn die meisten Besucher aus den Nachbarändern sind überzeugte Nichtraucher.

 

Die Plakatwand mit Kulturterminen. Ursprünglich vom Künstlerlokal Hawelka eingeführt, ist heute Bestandteil der meisten Wiener Cafés

 

 

 Das Café Hawelka vor der Renovierung 

Trotz des großen Besucherandrangs sind die Herren Ober im Hawelka durchweg höflich bis freundlich. Zum guten Service gehört selbstverständlich die klassische Berufskleidung (schwarzer Anzug mit Weste). Dafür liegen die Preise des Kaffeehauses durchweg auch am oberen Ende der Wiener Skala (mehr als 4 Euro für einen großen Mocca). Doch das scheint die Besucher, darunter natürlich sehr viele aus dem Nachbarland Deutschland, kaum abzuschrecken. Auch nicht die Tatsache, dass zumindest die Herrentoiletten schon bessere Tage gesehen haben und bei der Renovierung offenbar vergessen wurden (siehe Foto).

Die neuen Geschäftsführer des Hawelka haben in jedem Fall erkannt, wie wichtig die Außenwirkung für den Erfolg ihres Kaffeehauses ist. So nimmt das Lokal zurzeit an einer Aktion eines Wiener Museums teil (Das große Wiener Kaffeehaus-Experiment). Und der Oberkellner des Hawelka, der "Herr Visar" (siehe Foto) verkündet auf einem Plakat seine Arbeitsphilosophie: "Der Ober ist die Brücke zum Kaffeehaus. Und wenn die wackelt, trauen sich die Gäste nicht herein! 

Im Hawelka scheint die Brücke zumindest nicht zu wackeln. Dafür können Wien- und Hawelka-Fans jetzt schon das zweite Buch kaufen, das die Geschichte dieser Wiener Institution ausführlich und bebildert beschreibt.

 

 

Alle Texte und Fotos copyright Christian Fürst 2011