Bartgeier und Co - Artenschutz in Hohen Tauern

Bartgeier, Urforelle und Co. - Überleben im "Hohe Tauern-Nationalpark"

von Christian Fürst, dpa (bis 10.2009)

Eustachia und Maseta haben sich mit ihrem ersten Flug viel Zeit gelassen: Knapp sechs Wochen, nachdem die jungen Bartgeier ihren Horst hinter einem Wasserfall im malerischen Seebachtal im österreichischen Bundesland Kärnten bezogen haben, treten die Jungvögel an den Rand der Felsnische. Mit ihren breiten Flügeln schweben sie majestätisch hoch über dem Talboden. Ein entscheidender Schritt im (Über)-Leben dieser noch immer vom Aussterben bedrohten Tiere ist gemacht.

Im Alter von dreieinhalb Monaten wurden Eustachia und Maseta, die in diesem Jahr im Wiener Tiergarten Schönbrunn und in einem andalusischen Zoo ausgebrütet wurden, in den Nationalpark Hohe Tauern gebracht. Im Rahmen eines internationalen Programms sollten die Tiere, die in den Alpen vor rund 100 Jahren ausgerottet wurden, wieder ausgewildert werden. Und ihre Überlebenschancen stehen mit rund 80 Prozent recht gut.

Michael Knollseisen, einer der Bertreuer der Bartgeier, macht sich mit dem Skelett eines Schafes auf den steilen Weg zur Futterstelle seiner Schützlinge.
Michael Knollseisen, einer der Bertreuer der Bartgeier, macht sich mit dem Skelett eines Schafes auf den steilen Weg zur Futterstelle seiner Schützlinge.(Foto: picture-alliance/ dpa)

Fast 160 Bartgeier (lateinisch: Gypaetus barbatus) sind in den vergangenen 20 Jahren so im gesamten Alpenraum ausgesetzt worden; bis zu 25 davon in Österreich. Schwerpunkte des Programms, das in den späten 1980er Jahren vom WWF initiiert wurde, sind neben Österreich Auswilderungsplätze in der Schweiz, Italien und Frankreich. Auch von Deutschland aus wurde das Jahrhundertprojekt unterstützt. Allein die Zoologische Gesellschaft Frankfurt investierte bis heute mehr als 1,2 Millionen Euro in die Wiederansiedlung.

Ideale Bedingungen

Im Nationalpark Hohe Tauern, Österreichs größtem Naturpark, finden geschützte Tiere aller Art ideale Überlebensbedingungen vor. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die mehr als 1800 Quadratkilometer große Schutzzone inzwischen zu einem Tummelplatz für Forscher verschiedenster Fachrichtungen geworden. Hier arbeiten Biologen, Zoologen, Klimaforscher oder Geologen aus aller Welt seit Jahren an den unterschiedlichsten Projekten, die von der Wissenschaftlerin Kristina Bauch im modernen Nationalparkzentrum Mittersil betreut und koordiniert werden. Auch vom Aussterben bedrohte Tiere wie der Steinadler, der Steinbock und neuerdings die sogenannte Ur-Forelle haben hier eine neue Heimat gefunden.

Michael Knollseisen, offizieller "Bartgeier-Betreuer", hat seinen beiden Schützlingen Eustachia und Maseta seit ihrer Ankunft von seinem Beobachtungszelt im Tal alle drei Tage Futter hinaufgebracht. Der steile Aufstieg ist äußerst mühsam. Meist sind es fleischlose Skelette von Schafen oder Gämsen, die er auf seinem Rücken trägt und in der Nähe des Horsts ablegt.

Bartgeier hat einen schlechten Ruf

"Wir wollen, dass sich die Vögel nicht zu sehr an die Unterstützung des Menschen gewöhnen", erzählt Knollseisen. "Die Wiederansiedlung der Bartgeier ist auch ein gesellschaftliches Problem", erläutert der Experte, der bereits die vierte Geier-Aussetzung in den Hohen Tauern betreut. "Im Himalaya gilt der Vogel als heilig. Er wird dort positiv angesehen, weil er nach der Vorstellung der Menschen die Toten in den Himmel bringt."

Anders in Mitteleuropa: Hier haben die Aasfresser im Gegensatz zu dem ebenfalls bedrohten Steinadler einen schlechten Ruf. Sie gelten als furchteinflößende Boten des Todes: "Einer der Bartgeier saß eine Zeit lang regelmäßig hier im Ort auf der Friedhofsmauer", berichtet lachend Andreas Angermann, amtlicher "Ranger" im Naturpark: "Das fanden einige Leute schon reichlich makaber."

Zusammen mit einem Kollegen bereitet Knollseisen (rechts) die Auswilderung eines Bartgeiers vor.
Zusammen mit einem Kollegen bereitet Knollseisen (rechts) die Auswilderung eines Bartgeiers vor.(Foto: picture-alliance/ dpa)

Dabei haben die großen Vögel ihren schlechten Ruf völlig zu Unrecht, wie die Experten im Naturpark Hohe Tauern versichern. Bartgeier, die mit ihrer gigantischen Flügelspannweite von bis zu drei Metern ein Revier von bis zu 400 Quadratkilometern kontrollieren und an einem Tag bis zu 500 Kilometer weit fliegen können, sind ausnahmslos Aasfresser. Rund 80 Prozent ihrer Nahrung besteht aus Knochen, Sehnen und Bändern. "Berichte, wonach Geier lebende Lämmer fressen oder gar Kinder geraubt hätten, entstammen der Fantasie."

In Sachen Schönheit keine Gewinner

"Die irrige Vorstellung der Menschen vom mordenden Lämmergeier kommt daher, weil man die Tiere oft in Schafsherden herumspazieren sieht. Dort lauern sie allerdings nur darauf, die Nachgeburt von Muttertieren zu fressen", erläutert Knollseisen. Allerdings suchen die Vögel tatsächlich auch den Menschen und sein Umfeld, wie etwa Fleischfabriken. Das nach herkömmlichen Vorstellungen "wenig vorteilhafte" Aussehen der Vögel trägt zu ihrer mangelnden Popularität bei, meint Gunther Gressmann vom Steinadlerprojekt "Aquilasp": "Was die Schönheit betrifft, so gehören die Geier ja wirklich nicht gerade zu den Gewinnern der Evolution".

Der majestätische Steinadler, der im Nationalpark inzwischen erfolgreich wieder angesiedelt wurde, ist dagegen ausgesprochen populär, obwohl der hin und wieder auch mal eine Hauskatze "mitgehen" lässt.

Beringt, aber nicht "besendert"

Inzwischen allerdings weicht die Abneigung der Bevölkerung gegen die imposanten Bartgeier langsam auf. Auch im kommenden Jahr sollen deshalb in den Hohen Tauern wieder Jungvögel mit finanzieller Unterstützung der EU ausgesetzt werden. Wie schon im vergangenen Jahr in Berlin werden die Tiere zuvor beringt, und ihr Gefieder wird so gebleicht, dass sie im Fluge vom Boden aus leichter zu erkennen sind. Anders als in der Schweiz und Italien, wo inzwischen bereits 15 der ausgesetzten Bartgeier-Paare gebrütet und fast 50 Jungvögel aufgezogen haben, sollen die Tiere im Nationalpark jedoch nicht "besendert" werden.

"Alles in allem sind wir mit dem Verlauf des Projekts hier sehr zufrieden", meint Bartgeier-Betreuer Knollseisen. Allein in Österreich wurden in den vergangenen Jahren 3000 freiwillige Bartgeier-Beobachter mobilisiert, die zum gesamt-europäischen Netzwerk des Programms beitragen. Nur mit der natürlichen Vermehrung hapert es noch bei den Tieren. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen in den Nachbarländern hat bisher noch keines der österreichischen Paare erfolgreich gebrütet.

Ein Exemplar der Urforelle, das in den Hohen Tauern wieder heimisch werden soll.
Ein Exemplar der Urforelle, das in den Hohen Tauern wieder heimisch werden soll.(Foto: picture-alliance/ dpa)

Bei einer anderen im Nationalpark erforschten Spezies ist die Vermehrung kein Problem. Im wild-romantischen Kalser Dorfertal mit seinen tosenden Wasserfällen und den mit Enzian und bunten Alpenblumen übersäten, saftigen Weiden versucht der Zoologe Niki Medgyesy von der Uni Innsbruck im Rahmen des Projekts Trout Exam Invest eine längst ausgestorben geglaubte Art der Bachforelle, die noch aus dem Mittelalter stammende "Urforelle" wieder heimisch zu machen.

Bachforelle stark gefährdet

Obwohl die Bachforelle (Salmo trutta) offiziell nicht unter den vom Aussterben bedrohten Arten in Europa erscheint, gilt sie doch als stark "gefährdet". Der Grund: In den vergangenen Jahrzehnten sind die autochtonen (örtlichen) Forellenarten durch den ständigen Besatz der Flüsse und Bäche mit Populationen der sogenannten atlantischen Forelle immer weiter verdrängt worden. Seit dem Jahr 2002 versucht man, diesen Trend im Nationalpark zu stoppen.

"Durch die Regulierung der Bäche, die andauernde Überfischung und Verdrängung durch neu angesiedelte Arten, gab es nur noch eine Reliktpopulation von 200 Fischen", erklärt Medgyesy. "Wir mussten weit ins Gebirge hinaus, um die letzten lokalen Vorkommen zu finden." Durch Gewebeanalysen bis hin zu "Vaterschaftstests" wurden sieben örtliche Linien der ursprünglichen Bachforelle entdeckt, die im Mittelalter von Fürsten und Klöstern im Hochgebirge ausgesetzt wurde, um mit ihrer Hilfe die Fastengebote zu umgehen. Die im Dorfertal ausgesetzte Linie stammt aus dem nahen Anrasersee auf 2450 Metern Höhe, wo Medgyesy Elternpaare entnahm. In den Aquarien der Uni Innsbruck begann er daraufhin, die "Urforelle" gezielt zu züchten.

Arbeitsplatz direkt am Seebach

Im Osttiroler Dorfertal hat Megyesy jetzt seinen Arbeitsplatz direkt neben dem bis zu zehn Meter breiten Seebach aufgeschlagen. Milchkühe liegen wiederkäuend im nassen Gras zwischen den Gebirgshängen, und kleine Grasfrösche hüpfen munter in der Vormittagssonne. Entlang des Bergkamms zieht ein Steinadler in großer Höhe seine Bahnen. In dem auch im Sommer nur 5 Grad kalten Gletscherwasser des Seebachs tummeln sich derweil Hunderte der neuen-alten Forellenart.

Der Biologe Niki Medgyesi (links) fängt gemeinsam mit seinem Sohn Nikolaus Urforellen aus einem Bach in den Hohen Tauern.
Der Biologe Niki Medgyesi (links) fängt gemeinsam mit seinem Sohn Nikolaus Urforellen aus einem Bach in den Hohen Tauern.(Foto: picture-alliance/ dpa)

Doch diese Idylle muss der Zoologe mit seinen Helfern jetzt stören. Mit seiner wärme-isolierten, wasserfesten Kleidung und einem an einer Stange befestigten Fangnetz steigt er in das eisige Wasser. Neben ihm sein Sohn Nikolaus. Der trägt einen Stromgenerator auf dem Rücken, mit dessen Hilfe er mit einer langen Stange kurze Stromstöße in das Wasser schickt, das zuvor mit Kochsalz leitfähiger gemacht wurde.

Die Stromstöße sind stark genug, die äußerst beweglichen Forellen kurzzeitig bewegungsunfähig zu machen. Medgyesi fängt sie daraufhin in Ufernähe ein. Anschließend werden die Tiere vermessen und gewogen. "22 Zentimeter" ruft Sohn Nikolaus dem Vater entgegen, der den leicht betäubten Fisch dann auf eine Waage legt. 102 Gramm wiegt diese Forelle, die vor einiger Zeit schon durch zwei Tätowierungspunkte markiert worden ist. Bei einer anderen findet Medgyesy hinter dem Auge ein Plättchen mit einer ID-Nummer, die bei einer Reihe von Tieren implantiert wurden. Mit diesen Markierungshilfen können die Daten einzelner Tiere besser verglichen werden.

"Die Fische sind extrem vital"

Einige der gefangenen Fische sind bereits bis zu vier Jahre alt. Sie wurden mit Hilfe künstlicher Befruchtung aus "Urforellen" gezüchtet und dann zunächst in zwei Versuchstälern in St. Jacob (500 Stück) und dann hier im Dorfertal (4000) ausgesetzt. "Wir haben diesen Teil des Seebachs sehr intensiv besetzt", erläutert der Zoologe. "Hier können sich die Forellen gut reproduzieren." Megyesy glaubt deshalb fest an den Erfolg dieses Projekts. "Die Fische sind extrem vital. Wir werden im Herbst die ersten Jungfische haben, die hier gelaicht worden sind, erzählt er. An eine kommerzielle Verwertung der Urforelle denken Megyesy und die Parkverantwortlichen jedoch nicht. Darüber "kann man erst reden, wenn die Urforelle wieder ganz heimisch geworden ist."

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Internet:


http://www.hohetauern.at/
http://c719-71-22.uibk.ac.at/TroutExamInvest/

http://www.kaerntenfisch.at/besatz/urforelle.html

Adressen:
BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz

9822 Mallnitz 36
Österreich

 

 
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http://c719-71-22.uibk.ac.at/TroutExamInvest/

 

 

 

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Adressen:

BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz

 

9822 Mallnitz 36

 Österreich