Woche 27 Ladinien

Land der Frommen

In den Tälern der Ladiner

 

Der Himmel ist wolkenverhangen. Der Blick auf die mächtige Steilwand des Heiligkreuzkofel, die hoch über dem Gadertal emporragt, lädt nicht unbedingt zu einer Gebirgstour ein. Es ist still an diesem Sonntag Vormittag. Nur ein Flugzeug in Richtung Venedig ist zu hören - sehen kann man es nicht in den dichten Wolken. Da schleicht sich, schwer zu orten, wie nebelverhangen ein Geräusch, nein Gemurmel aus dem Tal  den Hang entlang nach oben - es sind Stimmen - viele Stimmen. Zunächst ist es nur ein Gewirr aus Tönen. Zu den Tönen gesellen sich Bilder. Fahnen und Banner zuerst, die hocherhoben über die Wiesen wehen, Madonnenstatuen und Statuen Jesu folgen, bevor sich die Menschen erkennen lassen, ohne die es sie nicht gäbe, diese Prozession am Tag "Herz Jesu".

         

Es ist ein unglaublich farbenfrohes Spektakel, dass sich da bietet - aber nur auf den ersten Blick ist es Spektakel. Der zweite offenbart mehr, viel mehr. Diese Prozession ist Ausdruck tief empfundener Religiosität, eingebunden in ladinische Traditionen. Hier scheint nichts dem bloßen Schein geschuldet, wie es so oft Prozessionen anhaftet, die nach außen gekehrt mehr schein als heilig anmuten und bei denen Glauben durch Frömmelei ersetzt wird. Die Gebete werden in Ladinisch und Latein gesprochen - sie sind sich ja sehr nahe die Sprache der Römer und das daraus entstandene Volkslatein, das Rätoromanische. Und um die Würde der Prozession nicht zu durchbrechen ruht der Sessellift von Pedraces hoch zum Sas dla Crusc und seiner Wallfahrtskapelle bis zu dem Moment, an dem sich die Gläubigen bei Nieselregen in der Hauptkirche versammelt haben. Glückliches Ladinien. 

 

Jung im Alter

Der 90ste Geburtstag

Weniger nach Innen gekehrt und dem prallen Leben zugewandt ging es am selben Wochenende auf der gegenüberliegenden Seite des Tales zu. Es wurde eifrig gefeiert auf dem Runch Hof, hier Maso genannt, mit Musik und Tanz und, wie es sich für Ladiner gehört, mit einem opulenten Mahl und gutem südtiroler Wein. Kaum angekommen hatte der Fotograf auch schon ein Glas feinsten Gewürztraminer in der Hand. Da es sich aber mit einem Weinglas in der einen und einer schweren Kamera in der anderen schlecht fotografieren läßt, räumte der Weinfreund der "Arbeit" schweren Herzens Priorität ein.

Nicht im Tal im eigenen Hotel "La Majun", wo sie auch lebt, feierte sie ihren neunzigsten sondern auf dem Berg. Und sie ließ sich mit Wohlgefallen feiern von der stattlichen Großfamilie: Giuditta Rinna, geborene Costner. Zu den ersten Gratulanten gehörten die Mitglieder der Trachtenkapelle, die prächtig musizierten. Sie erfreuten nicht nur die Ohren der Jubilarin, die begeistert applaudierte, sondern auch die Augen. Fesch sahen sie aus, würde man in Bayern sagen.

 

       

Der kleinere, wenn auch ältere Bruder, der Costner Gustl, von dem man mit Respekt als dem besten Bäcker im Gadertal sprach, zeigte sich mit seinen 93 Jahren ebenfalls noch fit und gesprächig, wenn er auch an den jugendlichen Charme und den Übermut der Schwester nicht mehr heranreichen konnte. Und wie im richtigen Leben machte das Wetter auch der Festtagsgesellschaft einen Strich durch die Rechnung. Das Defilee der Gratulanten war gerade beendet und die ersten Gäste gingen zum Tanz über, als es wie aus Kübeln schüttete. So drängten alle in das gemütliche Wirtshaus aus dem frühen 19ten Jahrhundert, wo das Essen angerichtet war - vielleicht noch üppiger als an normalen Tagen. Aber der neunzigste Geburtstag ist eben kein Tag der Normalität. Noch viele schöne Jahre bei bester Gesundheit wünscht auch das Team von NewsAndMore..

Gran Ciasa

oder die stehengebliebene Zeit

Es gibt Bauten, sakraler oder profaner Art, die heute ebenso gut nutzbar, bewohnbar und wohnlich sind, wie  zu dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. Und wenn sie Jahrhunderte überdauern, legen sie keine Patina an, sondern erscheinen noch immer architektonisch ebenso ästhetisch wie zweckmäßig modern. Dicke Mauern sorgen im Innern für Frische in den heißen Sommermonaten und halten die Kälte ab, wenn die Bergwinter die Quecksilbersäule zwanzig Striche und mehr unter die Null-Grad-Marke rutschen lassen.

Gran Ciasa in Pieve di Marebbe - Flur

 

Nur in wenigen Regionen Europas finden sich auf relativ engem Raum derart viele Beispiele bürgerlicher Architektur, die man, neuzeitlichen Bauwerken gegenübergestellt, bewundernd bestaunt, so wie man sich von den meisten Machwerken der Neuzeit kopfschüttelnd abwendet. Hier waren Meister zu Werke gegangen, Baumeister und nicht Erfüllungsgehilfen von Bauherren, denen der Rotstift häufig das liebste Instrument zu sein scheint. Und es gehören keine besonderen wahrsagerischen Fähigkeiten dazu vorherzusagen, dass diese Häusern noch stehen werden, wenn zum Beispiel die Billigarchitektur in der Hamburger Hafencity bereits zum x-ten male abgerissen und neu gebaut sein wird. Vorausgesetzt der Mensch legt nicht selbst Hand an...


          

 

Die Gran Ciasa in Pieve di Marebbe ist ein Musterbeispiel hierfür. 1575 errichtete Baumeister Kaspar, aus Aufkirchen bei Innichen stammend, diesen mächtigen Ansitz für die Adelsfamilie Moreck. Heute sind hier Küche und Wirtsstube der „Ostaria Gran Ciasa“ untergebracht. Sie ist äußerst beliebt bei Einheimischen ebenso wie bei Gästen aus dem In- und Ausland. Dies liegt nicht nur an der offenen Herzlichkeit und natürlichen Gastfreundschaft sondern durchaus auch an dem bodenständigen Essen, das von gefüllten Krapfen bis zur Spezialität des Hauses reicht – den Schweinshaxen. Fast alles, was hier auf den Teller kommt, stammt aus der Region und die Rezepte werden vererbt – wie immer schon. Tagsüber trifft man sich auf einen Plausch mit dem Wirt am Tresen in der wunderbaren, holzgetäfelten Stube. Und wenn es kalt ist, wird der Ofen angeheizt, an dem man sich auf einer schmalen umlaufenden Bank entspannen und wärmen kann. Schön ist es, wenn die Zeit stehen geblieben scheint – und man es nicht merkt.

Die Gran Ciasa im Jahr 2005

    

Analogaufnahmen 2005. Nikon F4. Nikkor 28-45mmm f = 1:4.5 und Tokina 21mm f=1:3.5. Fuji 200 ASA Diapositiv

Der Mensch, seine Berge und Täler

Das Tal von Campill

Steil sind die Hänge und karg die Böden in den Tälern, in denen die ladinischen Bauern seit Jahrhunderten Land- und Waldwirtschaft und Viehzucht betreiben. Die Höfe sind getrennt in die Wirtschaftsgebäude Stall und Scheune und das Wohnhaus, das durchaus stattliche Formen annehmen kann. Oft hat es nur einen Unterbau aus Mauerwerk. Obenauf wird Holz gesetzt. Die Trennung der Gebäude hat den Vorteil, dass bei Feuer nicht unbedingt alles auf einmal verloren geht.

   

    

Mächtige, außerordentlich gut erhaltene, vielgeschoßige Bauten, Trutzburgen ähnlicher als Wohnhäusern, zeugen auch hier vom Reichtum, den Großbauern und Landadel ansammelten, wobei es sicherlich ohne ein gerüttelt Maß an Ausbeutung nicht abging.  

 

    


Tief in dem Seitental, das bei Sankt Martin abzweigt und im Nichts zu enden scheint, liegt das Val di Morins, das Tal der Mühlen. Hier führt ein Bach Wasser, das aus der Höhe des Peitlerkofel herunterstürzt und dem Menschen die Arbeit erleichterte, Getreide zu Mehl zu wandeln. Lange Zeit drohten die Mühlen zu verrotten, bis die EU Gelder bereitstellte, diese einzigartigen Denkmäler zu restaurieren und acht von ihnen sogar betriebsfähig zu machen. Die Weiler Seres und Miscì sind mit die schönsten Beispiele für die typische, geschlossene Siedlungsstruktur, die im Gadertal vorherrscht. Und immer wieder fasziniert der Wechsel, den die Farbe des Holzes unter dem Einfluß von Sonne, Regen und Schnee annimmt über die Jahrzehnte und Jahrhunderte - welch ein Unterschied zu den allermeisten neuzeitlichen, als modern geltenden Stoffen, die an Fassaden nach einigen Jahren bestenfalls als angegammelt bezeichnet werden können, was leider auch schädlichen Umwelteinflüssen geschuldet ist.

   

 

Als fast normal oder zwangsläufig muss man es bezeichnen, dass zunehmend vor allem im Winter auch der Tourismus hier einkehrt in dieses entlegene Tal. Noch ist es ein stiller Tourismus, doch immer größer wird das Angebot an Ferienwohnungen. Agritourismus wird auch hier häufiger als noch vor zehn Jahren auf Hinweisschildern zu lesen sein, und so mancher in seinen Öffnungszeiten reglementierte Buschenschank mausert sich klammheimlich zur regulären Wirtschaft, nicht immer verbunden mit gleichbleibender Qualität von Speis und Trank und der Ausrichtung an Produkten aus der Region, zubereitet in der lokalen, bäuerlichen Tradition.

Das Jahr zwei danach...

 

          

                                        Juli 2014                                                                               September 2013

 Es sind die Menschen, die das Tal geprägt haben, die der Natur unter unsäglichen Mühen über Jahrhunderte hinweg Stück für Stück Land abgerungen, es urbar gemacht und in eine einzigartige Kulturlandschaft gewandelt haben. Die Natur hat immer wieder versucht zurückzuholen, was bereits an den Menschen verloren schien. Bergrutsche und Lawinen waren nicht Launen der Berge sondern ihre Reaktion auf Kahlschlag & Co.. Dieser Kampf Mensch gegen Natur prägt beide Seiten. Oft genug will es dabei scheinen, als sei der Mensch sein bester eigener Scharfrichter. Und so verwunderte es nicht wirklich, als am Weihnachtstag im Jahre 2012 unterhalb des Heiligkreuzkogels der Berg zu vibrieren begann und sich der halbe Hang in Bewegung setzte Richtung Tal bis er am Fluss zum Halten kam. Es sah grausam aus, als der Schnee geschmolzen und das ganze Ausmaß der Verwüstung zu sehen war. Doch bereits im darauffolgenden Herbst zimmerten die größten Optimisten im Talgrund auf dem weichen Grund neue Scheunen. Oder diente es nur der Kosmetik? Ende Juni dieses Jahres fahren Planierraupen eifrig durchs Gelände, um die Oberfläche wieder ansehnlich zu gestalten. Und hier und da zeigt sich sogar frisch gepflanztes Grün. Vielleicht nur der Optik wegen, denn die Touristen, die von der Hauptstraße aus die offene Wunde in der Landschaft sehen, sollen ja nicht verschreckt werden.

        

Am 21sten Dezember 2012 veröffentlicht die in Bruneck erscheinende "Pustertaler Zeitung" einen umfassenden Bericht über den Bergrutsch, der ohne das Zusammenwirken aller offiziell Verantwortlichen und ungezählter freiwilliger Helfer in einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes hätte enden können. Die Qualität des Artikels rechtfertigt, ihn am Ende dieses Beitrages erneut zu veröffentlichen. Den Kollegen der Pustertaler Zeitung, vor allem Chefredakteur Reinhard Weger, sei an dieser Stelle für die kollegiale Zusammenarbeit herzlichst gedankt.

newsandmore-mediaservice.de/media/andreas/2014/2014%20s%C3%BCdtirol/2014%20Hang%20des%20Schreckens/Hang%20des%20Verderbens%20001.pdf

 

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Radler - lieber „en detail“ als „en gros“

Sie fallen in die Dolomiten ein, wie Heuschreckenschwärme in der Sahel-Zone. Schwitzend hecheln sie bergauf, dem Herzinfarkt nahe,  frierend rasen sie bergab – die Radler mit den grauen Schläfen und den strammen Waden. Sie bevölkern Ende Juni und Anfang Juli die Region um das Bergmassiv der Sella – nicht ohne Grund. Zwanzigtausend und mehr Amateure möchten dabei sein, knapp zehntausend werden akzeptiert für den „Dolomiten Marathon“. Busfahrer fluchen, weil sie für jede Fahrt die doppelte Zeit brauchen und mehr. Rüde versperren und gefährden die Zweiradler den Verkehr, so als wären die Straßen ihr Eigentum . Hoteliers und Gastronomen klatschen derweil in die Hände ob klingelnder Kassen in der sonst reichlich öden Vorsaison. Die Einheimischen blicken zum Himmel und meinen, hoffentlich ist es bald vorüber. Und am Tag selbst geht gar nichts mehr auf den Straßen hier in den östlichen Dolomiten – sie sind allesamt gesperrt. Sollen doch Fremde sehen, wie sie von A nach B kommen. Nette Einstellung.

 

Und dann kommt einer daher, der so völlig aus dem Rahmen – nicht dem des Fahrrads – fällt und für Staunen, Verwunderung und Äußerungen uneingeschränkter Sympathie sorgt. Weder Herr noch Hund scheinen an den Juniorweltmeisterschaften teilnehmen zu wollen. Sie streben offenbar nur nach Harmonie mit sich selbst in bester Partnerschaft. Der eine tritt die Pedale, der andere genießt die Aussicht und feuert den Chauffeur aufmunternd  an – wenn es denn sein muss. 

Freunde auf dem Berg

Von rechts: Maria & Enrico Nagler mit Traute Pawlouschek

 

Ungewöhnlich ist es sicherlich aber an dieser Stelle zwingend notwendig – Dank zu sagen sehr speziellen Menschen im Gadertal. Sie sind nicht anonym, wie so viele in diesem Reisebericht beschriebene Bewohner aus dem Gader- oder Campiller Tal. Nein, sie haben einen Namen: Familie Nagler. Landwirte, Waldbesitzer, Wirtsleute und vor allem wunderbare Gastgeber. Man lernte sich Ende September 2013 kennen, als ein kleiner aber wirklich feiner Führer des Fremdeverkehrsbüros Restaurants auflistete, die typische ladinische Küche anbieten. Die „Maso Runch“ versprach Ambiente, Essen und Getränke vom Feinsten- wie es dann auch vorgefunden wurde. Die Wirtsleute Maria und Enrico waren perfekte Gastgeber. Man verstand sich, ja – war sich sympathisch und verabredete sich für den Folgetag um zu fotografieren und um die Apartments zu besichtigen, die neu im alten Stil erbaut worden waren. Die Aufnahmen wurden gemacht und die Apartments begeisterten. So war es nur logisch, dass der Wunsch stärker wurde, bald wiederzukommen. Eine Woche Ende Juni war dann Zeit, die ganze Familie kennen und lieben zu lernen – drei Generationen. So sei diesen wunderbaren Menschen an dieser Stelle für alles gedankt, was wir so reichlich erhielten, die vielen kleinen Aufmerksamkeiten, die offenen, warmherzigen aber auch von viel Humor getragenen Gespräche, die nur durch den Zeitdruck wartender Arbeiten auf dem Hof oder im Haus unterbrochen wurden. Liebe Naglers – wir kommen wieder.

          

Enrico Nagler. Anna und Mutter Sabine Miribung . Paul Nagler

         

 Christian Nagler. Sabine Miribung , Anna & Thomas Nagler. Paul Nagler 

    

Über die Apartments und den Hof Maso Runch findet sich alles Wissenswertes hier:

www.masorunch.it/dev/index_DE.php

 

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Vielen Dank, dass Sie hier in meiner Wochenchronik geblättert haben. Mehr ist in Vorbereitung.

 

Kontraste prägen zusehends das Bild Südtirols. Vor allem im Etschtal und im Vinschgau zeigen mutige Bauherren mit ihren begabten Architekten, akzeptiert von den Kommunen, dass moderne Architektur sich sehr wohl in uralte Kulturlandschaften einpassen läßt. Ob dies der Kellerei Tramin mit dem Um- und Neubau ebenfalls gelungen ist? Viele meinen, es sei spannend, was dort grün inmitten von Wein- und Obstanlagen in die Höhe ragt. Andere finden es gerade noch hinnehmbar und wiederum andere schlicht gräßlich. Und der Autor freut sich über ein interessantes Fotomotiv und mehr noch über die exzellenten Weine die hier am Kalterer See entstehen.

    

 

Und was wäre ein Besuch Südtirols, dem Land mit der größten Dichte an Sterne-Restaurants, ohne den Besuch in einem der besten Restaurants Italiens, dem "St. Hubertus" in Sankt Kassian? Bestenfalls enttäuschend! In dem kleinen Bergdorf, das außerhalb der Saison ohne Touristen menschenleer wirkt, kocht Norbert Niederkofler aus dem nördlichen Ahrntal, ein "Magier am Herd". Und verraten werden kann: auch Magier können sich noch steigern

      

Den Bericht über einen Abend im Restaurant "St. Hubertus" finden sie hier: "Haute Cuisine" ist er genannt.

 

Texte und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2014