Woche 19 Belle Epoque

Im siebenten Himmel strahlen drei Sterne

Ein Abend im "La Belle Epoque" in Travemünde

 

 

 

Stillstand ist Rückschritt. Dies gilt auch in der Kunst und in der Kochkunst allemal. Es sind fast Quantensprünge, die der Autor miterlebte, seit in den siebziger Jahren Joseph Viehauser in Hamburg als Erster mutig moderne Küche praktizierte und dem Norden Deutschlands einen Hauch von Haute Cuisine spüren ließ. Seitdem ist viel Wasser die Elbe in Richtung Nordsee geflossen und in der Hansestadt schielen Jahr für Jahr drei Küchenchefs auf den dritten Stern der Gourmetbibel Michelin. Die finden sich in der norddeutschen Tiefebene bereits in Wolfsburg mit dem "Aqua" des Sven Elverfeld, in Osnabrück mit dem "La Vie" von Thomas Bühner, dem Meister aller Vakuumverdampfer, und seit 2013 am Strand der Travemündung mit Kevin Fehling, dem jugendlichen Küchenchef des "Belle Epoque". Alle Drei bauen ihr kochkünstlerisches Genie kontinuierlich mit Kreativität, Detailversessenheit, hohem Spürsinn für Aromenkombinationen unter Ausnutzung modernster Küchentechnik und hohem, sensiblem ästhetischen Empfinden aus, und entführen ihre Gäste in andere Sinneswelten.

Menü in sechs Gängen mit Prolog und Epilog

"Belle Epoque" am 7ten Mai 2014

               

Räucherlachs, Senf-Honig-Dill

Kleine Paella

Dim Sum von Himmel und Erde

 

Der Verstand tut sich schwer beim Anblick der Miniaturen , "Klassische Garnituren" genannt. Auf Seite eins der Menükarte firmieren sie schlicht unter Appetizer, was tiefgestapelt ist. Soll das, was sich da farben- und formenfroh dem Auge darbietet, tatsächlich dazu bestimmt sein, zwischen Ober- und Unterkiefer zermatscht zu werden, um alle Geschmacksnerven zu reizen, nur um danach dem Schicksal allen Essbaren zugeführt zu werden? Oder soll dies nur ein Vorgeschmack auf die nächste Kasseler Documenta sein. Eine Verführung der besonderen Art ist es allemal. Doch es geht weiter und zum Kassler kommen wir noch:

             

Hamachi* & Bretonische Makrele, grüne Aromen

Kalbstatar, rote Aromen

 

 ãƒãƒžãƒ = Hamachi sei eine Gelbmakrele, erklärt man uns auf Nachfrage. Ein Gelbschwanz aus der  Familie der Stachelmakrelen, vertieft das Internet später unser neues Wissen, wobei "Hamachi" den jungen Fisch bezeichnet. Ob Gelb-, Grün- oder Pinkschwanz - es hat wunderbar gemundet.

         

 

 Das Menü

Der erste Gang

 

Taschenkrebs, Hummer & Kaisergranat

mit dreierlei Kaviar & Cognac

 

Der zweite Gang - pour Madame

Kabeljau

mit Rote Bete, braune Butter, Wasabi & Dashi-Vinaigrette

 

Der zweite Gang - pour Monsieur

 

         

 

Gänseleber "Pharao" & Gänseleber "Bistella"mit Couscous, Kumquat, Datteln & Aubergine

 

 Der dritte Gang

Den dritten Gang durchs kulinarische Paradies kündigt Kevin Fehling per Flaschenpost auf Meersalz an. Ein Bekenntnis zu seiner Liebe Asiens und des Fernen Osten - seinen Aromen und Düften. Und auch aus seiner Vita offenbart Fehling etwas. Er war zur See gefahren - als Smutje - auf sehr hohem Niveau allerdings. Zwei Jahre lang verwöhnte er als Küchenchef auf der "Europa" im Restaurant "Venezia" die Kreuzfahrer.

 

 

 Jakobsmuschel nach "Indischer Art"

mit exotischem Chutney, Joghurt, Naanbrot & Tandoori

Ein sinnliches Vergnügen, dass jede Reise nach Indien überflüssig erscheinen läßt. Man braucht nur die Augen zu schließen und vermeint, auf den fernen Subkontinent versetzt zu sein. Welch ein Jammer, dass der Autor bisher noch in keinem indischen Restaurant derart feine, fast schwebende Geschmacksnuancen in zarte Konsistenzen gebunden erleben konnte. Da musste erst ein deutscher Zauberkoch kommen, um Indiens Küche in den siebenten Himmel zu heben. Bravo Kevin Fehling!

Kevin Fehling, Jahrgang 1977

 

Für einen Koch, der auf dem Olymp der Gourmandise thront  ist er jung, sehr jung sogar. Und entsprechend zeitlich komprimiert ist seine Karriere, die ihn auf seinen Lehr- und Wanderjahren zu den besten Köchen der Branche führte:  In Hamburg 2002 zu Wahabi Nouri ins Restauran Piment. Als Lehrmeister folgte 2003 die Gourmet-Ikone Harald Wohlfahfrt im Restaurant Schwarzwaldstube in Baiersbronn. Roy Petermann, der vielfach zu wenig beachtete, weil überaus bescheidende Küchenchef im Lübecker Restaurant Wullenwever folgte im Jahr 2004. Dann war es auch schon so weit für den richtig großen Sprung. Er wird 2005 Küchenchef dort, wo er sich Stern um Stern in atemberaubendem Tempo erkochen wird. Bereits nach drei Jahren würdigte der Michelin das Schaffen Fehlings mit einem Stern, der sich bald vermehren sollte. 2011 waren es dann bereits zwei Sterne und nur zwei Jahre später, 2013 die Krönung mit dem dritten Stern. Eine Auszeichnung, die auch für 2014 bestätigt wurde. Zu Recht, wie die weiteren Gänge zeigen werden. Was an Kevin Fehling imponiert ist, dass er den Sprung auf den Olymp und die damit verbundene Popularität verarbeitet hat, ohne einen Hauch seiner Natürlichkeit, seiner Offenheit und auch Entspanntheit zu verlieren. Unprätentiös und locker unterhält er sich mit seinen Gästen nach vollbrachter Tat und meint zum Abschied, er freue sich auf deren nächsten Besuch - und das kling echt.

     

Die Aufnahmen von Kevin Fehling entstanden am 27sten August 2014 anläßlich eines weiteren Besuchs im "La Belle Epoque", über den zu einem anderern Zeitpunkt zu berichten sein wird.  Im Herbst, die Frankfurter Buchmesse hatte ihre Tore bereits wieder geschlossen, präsentierte der junge 3-Sterne-Koch sein erstes Buch, auf das Freunde, Verehrer, Kollegen und die Konkurrenz gleichermßen mit Spannung gewartet hatten. "Prodigy" heißt es, "Wunderkind" also. Richtig ist, dass Fehling in der Küche Wunder vollbringen kann. Ob dies auch den Buchmachern gelungen ist, möge jeder für sich entscheiden. 

 

Der vierte Gang

 "Die Weiterentwicklung" Kassler & Auster

mit gefrorenem Senf, Weißkrautsalat, Kartoffel und Petersilie

 

Gegensätze ziehen sich nicht nur an, sie können in Idealkonstellation das vordergründig trennende sogar aufheben und zusammenwachsen.  Es scheint nicht nur gewagt - es ist gewagt, was da auf den Teller kommt. Natürlich ist das Kassler nicht irgend ein Stück geräuchertes Nackenfleisch aus dem Supermakt, sondern aus der Wade des Kalbs gelöst. Und neben das Kassler legen sich auch keine profanen Matschkartoffeln, von mehliger Sauce ertränkt.  Eine königliche Auster muss es und Kartoffel darf es sein, ebenso Weißkrautsalat und Petersilie und wie im richtigen Kassler-Leben sogar Senf, wenn auch gefroren. Ingredenzien also, die durchaus auch in Großmutters Küche zu finden waren. Vorsichtig, zu vorsichtg näherte der Autor sich diesem vermeintlichen Abenteuer. Probiert getrennt  zunächst das Kassler, dann die Auster bis er begreift - es schmeckt zusammen was zusammen erdacht wurde. Und erst jetzt erschließt sich das Geschmackswunder: Kassler UND Auster oder: Das Austernkassler....

 

Der fünfte Gang - pour Madame

    

Wagyu-Beef mit der Rinde des Kürbis

und Mastix - den Tränen des Baumes & Miso

 

Der fünfte Gang - pour Monsieur

Challans Entenbrust "La Belle Epoque"

 mit Erdbeere, Rhabarber, Mandel & Waldmeister

 

Leider muss immer wieder gesagt werden, dass auch in der Topgastronomie dann geschwächelt wird, wenn es zum Hauptgang kommt, der meistens ein Fleisch- oder Geflügelgang ist. Können die Spitzenköche bei den Vorspeisen, bei Fisch und Meeresgetier richtig zaubern, wirken und schmecken die Fleischgänge oft wie stiefmütterlich behandelt. Der Anblick erinnert oft an die Teller in gutbürgerlichen Gasthäusern, die Fleischportionen verirren sich mal hier, mal dort auf dem Teller, hilflos eingerahmt oder auch überlagert von sogenannten Beilagen. Der Geschmack orientert sich an Sauerbraten und Co. und auch vermeintlich moderne Garverfahren, Niedrigtemperatur oder "sou vide" zeigen oft nur die große Vide, die Leere, die bei vielen Köchen herrscht angesichts der Herausforderung der Behandlung von Fleisch und Geflügel. Wie es anders geht - die Bilder lassen es vermuten. Fehling läßt Fleisch Fleisch und Ente Ente sein. Alles präsentiert sich von bester, fester Konsistenz, auf den Punkt gebracht. Die pflanzliche Entourage wird nicht zur Nebensache, dominiert aber auch nicht das tierische Zentrum sondern reizt, schmeichelt und ergänzt. Hauptgänge, die ihren Namen verdient haben!

Der sechste Gang - pour Monsieur

Geschälte Kaffir-Limette

mit Caipirinha-Bon-Bom, Thaibasilikumsorbet

Bergamotte & Limonenblattschaum

Der sechste Gang - pour Madame

 

Maiseis

mit Guave, Avocado, Gurke, Tamarindengelee,

Tortilla-Krokant & Passionsfrucht-Margarita

 

Da lugt er wieder um die Ecke, der Freund asiatischer Aromen. Beim Lesen der Karte kommt der Gedanke auf, ob hier nicht des Guten etwas zu viel an eigenständigen, sehr kräftigen Elementen aufeinanderprallen wird. Thaibasilikum vs Bergamotte vs Limone - jedes für sich ist bereits geschmacksegomanisch belegt. Wie bei Fehling allerdings nicht anders zu erwarten war, bleibt die Skepsis bereits mit der ersten Löffelspitze auf der Strecke. Alles verbindet sich zu einer einzigartigen, aufreizenden Sinnneswahrnehmung, die vor allem eines ist: sommerlich frisch und betörend. So wird mit dem Finale das Tor aufgestoßen - der Weg in den Himmel der Feinschmecker ist weit geöffnet - und vielleicht muss Michelin über einen vierten Stern nachdenken, wenn, ja wenn Kevin Fehling in diesem atemberaubenden Tempo weitermacht..

Das Flüssige 

Was wäre ein Essen ohne gute, besser noch perfekte Weinbegleitung - natürlich darf es auch einmal Bier sein. Hier jedoch waren es Weine, ausgewählt und kommentiert von  mit höchstem Sachverstand David Eitel -  Chef de Service und Sommelier. 

2011er Chardonnay Fass Nr. 19 „Têtê à Têtê“ Schembs / Rheinhessen

1989er Vouvray Le Haut-Lieu Moelleux  Huet / Loire

2004er Ungeheuer Riesling G.C. Dr. Bürklin-Wolf  /Pfalz

2010er Faugeres Jadis  Leon Barral / Languedoc

2006er Vacqueyras „Reserve“ Château de Tours / Rhône 

David Eitel arbeitet seit fast einem Jahrzehnt offenbar kongenial mit Kevin Fehling zusammen, und das kann nur gut gehen, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet. Er sorgt dafür, dass die Kreationen aus der Küche ihre verdiente Entsprechung im Glas finden. Dass seine Beratung nicht nur höchst kompetent erfolgt, sondern in gleichermaßen informativer, charmanter und vergnüglicher Art, macht den Abend besonders harmonisch. Unterschiede in der Auffassung darüber, welcher Wein ideal zu welchem Gang passen kann, werden dadurch geklärt, dass derjenige bestimmen darf, der die geschmackliche Ausrichtung des Essens bereits kennt - und das ist der Sommellier, und das ist auch gut so. Eitel zur Seite steht ein junges Serviceteam, das sehr persönlich, aufmerksam und vor allem auch kenntnisreich agiert. Keine Frage nach dem wie oder woher blieb unbeantwortet, so als würden sie zweigleisig in der Küchenbrigade und im Service agieren können. Und, was selten ist in Etablissements diesen Standards, es durfte auch gelacht werden.

 

Epilog ohne Speise

 

Gäbe es eine Genuss pro Gramm-Einheit, so erhielte das "Belle Epoque" ohne zu zögern hundert von hundert Punkte auf der  nach oben geschlossenen Pawlouschek Skala.  Denn: Große Küche kann nicht zum Nulltarif zu haben sein - das verbietet die Natur der Sache. Selbst jedoch, wenn der nicht unerhebliche Warenwert nicht mit in die Kalkulation enfließt, sondern nur der vermutete Arbeitsaufwand von hochqualifizierten Menschen in Küche und Service, kann die Preisgestaltung als äußerst fair bezeichnet werden. Und so sei hier offen vermerkt, dass im Belle Epoque das oben beschriebene 6-Gang-Menü inklusive all der  be- und verzaubernden "Appetizer" und der verührerischen Petit Fours zum Ausklang 170.00 Euro kostet. Die Weine können dann mit Leichtigkeit noch einmal mit dem Doppelten und mehr das Portemonnaie belasten, was hier keineswegs der Fall war und in jedermanns Ermessen gestellt ist. Der Weinkeller gibt es allemal her. Dass bei diesen Preisen kostendeckend gewirtschaftet  werde kann, ist zu bezweifeln. Doch hier scheint, wie häufiger, ein stilles, indirektes Mäzenatentum zu wirken, dem gedankt sein soll und das weit entfernt ist von dem vorgeblichen Mäzenatentum, das in marode Fußballvereine werbewirksam Millionen pumpt. 


 Epilog und Finale mit dem besonderen Etwas

     

Petit Four

Salziger Karamellschaum, gelbe Aromen

Johannisbeere, Lavendel, Orange & Buttermilch

Apfel, Joghurt & Müsli

 

Das Belle Epoque im Internet: www.columbia-hotels.de/casino-travemuende/genuss-gourmet-gourmetrestaurant-la-belle-epoque.html#mehr

Die Menükarte im "Bel Epoque" finden Sie hier: fwww.columbia-hotels.de/casino-travemuende/pdf/speisekarte-lbe.pdf

Anmerkung in eigener Sache: Sämtliche Aufnahmen entstanden während des Essens bei vorhandenem Licht. War zum Auftakt gegen 18.45h der Tisch durch die großen Terrassenfenster noch gut ausgeleuchtet, so änderte sich dies relativ schnell. Die letzten Gänge gegen 22h  zu fotografieren gestaltete sich äußerst schwierig. Die daraus resultierende, nicht befriedigende fototechnische Qualität sei hiermit erklärt, nicht entschuldigt. A. Pawlouschek

 

Auch die nächste Chronik der 27sten Woche ist ein Versuch, Sinnesfreuden in Bilder und Texte zu fassen:

"Haute Cuisine. Ein Besuch bei Norbert Niederkofler und Christian Rainer."

 

Texte und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2014