1986-1988 - Kriegsberichte vom Hindukusch

Friedenstauben mitten im Krieg?

 

Dieses Bild entstand während meiner ersten Afghanistan-Reise im Juni 1986 in Mazar-e-Sharif, jener Stadt im äußersten Norden des Landes, in der seit fast zehn Jahren auch deutsche Soldaten stehen. Die Frau, so schien mir,  spielte mit ihrem Söhnchen inmitten der Tauben. Ich konnte - allein schon wegen der Lautstärke des Nikon-Motors - gerade einmal zwei Aufnahmen machen, bevor alle Vögel davon flogen. Eine sichtlich erschrockene Frau starrte in die Kamera des westlichen Reporters. Dann nahm sie ihr Kind und verließ den großen Platz vor der noch größeren Moschee (das Bild finden Sie am Ende des kleinen Afghanistan-Albums weiter unten in diesem Beitrag). Fast schien sie entsetzt, dass ich ihr Gesicht gesehen hatte? Oder war es Furcht vor dem "Eindringling"? Afghanistan unter den Kommunisten und der  sowjetischen Besatzung war ein ausgeprägter Spitzelstaat, und die Okkupationsarmee war bei der großen Mehrheit verhasst.

Insgesamt gelang es mir drei Jahre hintereinander, ein unabhängiges Visum für Kabul zu erhalten. Das erste Visum verdankte ich der Intervention des mit uns befreundeten Korrespondenten der DDR-Agentur ADN, der in Kabul für mich ein gutes Wort einlegte.

 

Wie Vogelnester hängen die Wohnhäuser an den steilen Berghängen rund um Kabul. Sie boten und bieten ideale Versteck-Möglichkeiten für Mudschaheddin oder heutige Taliban. Flugzeuge, die während des Krieges vom Flughafen Kabul starteten, mussten deshalb so schnell wie möglich im Steigflug an Höhe gewinnen und flogen extrem enge Kurven, um dem Raketenbeschuss durch die damaligen "Freiheitskämpfer" und heutigen "Terroristen" zu entgehen. Außerdem warfen sie hunderte sogenannte Flare ab, brennende Magnesium-Streifen, die durch die erzeugte Hitze die Hitze-suchenden Raketen der Mudschaheddin ablenken sollten. Im Verlaufe des Krieges gegen die Russen wurde aber meines Wissens über Afghanistan nur ein Passagierflugzeug in relativ großer Höhe abgeschossen. Und bis heute ist nicht klar, wer dafür verantwortlich war. Das Flugzeug wurde damals von einer US-amerikanischen Stinger-Rakete getroffen, die der CIA den Mudschaheddin zukommen ließ, um damit russische Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber abzuschießen. Wieviele der Raketen heute bei den Taliban gelandet sind, weiß niemand. Noch wurden sie nicht gegen die verhassten "infidels", die Ungläubigen, eingesetzt.

 

Die sowjetischen Besatzungstruppen waren zumindest in Kabul und Umgebung in den ersten Jahren des Krieges allgegenwärtig. Panzer rollten zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Straßen. Nachts hörte man vom Hotel Kabul aus sowjetische Artillerie und ununterbrochen startende und landenden Kampfhubschrauber.

Da ich nicht wissen konnte, wie sich die Russen einem westlichen Journalisten gegenüber verhalten würden, zog ich es bei dieser Begegnung am Rande von Kabul vor, mich dezent hinter dem alten Taxi zu verstecken. Auch die Kamera ließ ich nach dieser Aufnahme zunächst verschwinden. Allerdings fuhren die Soldaten in dem gepanzerten Mannschaftswagen an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Moskau hat in diesem fast 15-jährigen Krieg übrigens mehr als 100 000 Soldaten verloren. 1,5 Millionen Afghanen wurden Opfer des Konflikts.

 



Die sowjetischen Besatzer und die afghanischen Kommunisten wollten unter anderem die Burka abschaffen, hinter der afghanische Männer ihre Frauen in der Öffentlichkeit verstecken. Übrigens war und ist die Burka auch eine wunderbare Verkleidung für männliche Spione und/oder Terroristen. Allerdings konnten die afghanischen Männer ziemlich schnell unterscheiden, ob sich Männlein oder Weiblein hinter dem dichten Stoffgitter verbarg!

 

"Zum Teufel mit den Kommis!" war die Devise des Westens, der in Afghanistan mit Hilfe der Mudschaheddin gegen Moskau eine Art Stellvertreterkrieg führte. Dabei wollten die im Ostblock ausgebildeten afghanischen Kommunisten nichts anderes als das, was heute den NATO-Streitkräften auf ähnliche Weise kläglich misslingt: Afghanistan gewaltsam aus dem gesellschaftlichen Mittelalter zumindest auf den Weg in die Neuzeit zu führen.

So durften sich zu Zeiten der Kabuler Präsidenten Babrak Karmal und Nadschibullah Frauen ungestraft unverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen. Populäre afghanische Musik und westliche Popmusik waren auf dem Markt erhältlich, und die Afghanen durften ihre Stars auch öffentlich bewundern. Außerdem wurden Frauenzentren eingeführt und Mädchen durften - oder mussten sogar - in die Schule. All dies wollte und sollte aber im Westen zu Zeiten des Kalten Krieges niemand wissen.

Die ultra-reaktionären Mudschaheddin waren zwar untereinander zerstritten, der einzige einende Faktor waren die kommunistischen Eindringlinge und die Milliarden an Militärhilfe an die Freischärler, von denen riesige Summen auf den Konten der radikalen Anführer landeten. Hier wurde bereits die Saat für die Gewalt Osama bin Ladens gelegt, die dann zum laufenden Afghanistankrieg geführt hat.

 


Geschlossene Läden in Peshawar an der pakistanisch-afghanischen Grenze: Hier war eines der Zentren der afghanischen Mudschaheddin, und hierhin zog es natürlich auch die ausländischen Korrespondenten, die ja nur illegal mit den Mudschaheddin ins Kriegsgebiet kommen konnten. Hier konnte man auch die Anführer des Widerstandes treffen und sie interviewen und Zehntausende Flüchtlinge in den Lagern besuchen. Selbstverständlich gab es auch jede Menge Drogen zu kaufen - wenn man wollte..

Ab und zu flog dann einer dieser Anführer auch in die Luft, wobei selten klar wer, wer denn nun den Widerständler gemeuchelt hatte. Denn die Mudschaheddin waren sich nur in einem einig: "Sowjets raus aus Afghanistan"

 

 

 


Überraschung und Angst kann man in den Augen dieser Frau lesen, die ich vor der großen Moschee in Mazar-e-Sharif in Nordafghanistan fotografierte. Wie in jedem Konflikt waren  Zivilisten die häufigsten unschuldigen Opfer des Krieges, der etwa von 1978 bis etwa 1993 andauerte. Er endete nach dem Abzug der Sowjets mit der Ermordung des amtierenden Präsidenten Nadschibullah, den seine Mörder aufgehängt und ihm die Genitalien abgeschnitten haben sollen. Auch nach seinem Tod gingen die Kämpfe weiter und mündeten in einen neuen Bürgerkrieg, den die Taliban (auch mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA) gewannen. Die Folgen sind bekannt.

 

Einen präzisen Ablauf des afghanisch-sowjetischen Krieges lesen Sie hier

Dies berichtete "Die Zeit"

 

 

Die Bilder in  ihrer Reihenfolge: 1) Friedenstauben - Mazar-e-Sharif  2)Friedenstauben  3)Im Bazar von Kabul  4) Geldhändler auf dem "Grauen Markt" von K. 5) wegen des Krieges herrschte in großen Teilen von A. Lebensmittelknappheit 6) Kinder sind zu oft Opfer des Krieges 7-10) Marktimpressionen 11) wartende Taxifahrer 12)  am Stadtrand von K. 13) Königspalast, heute zerstört 14) Kriegswaisen 15) Russen kommen! 16-19) Männer dominieren das Straßenbild 20) Pferd und Esel nach wie vor das häufigste Verkehrsmittel 21)Passfoto gefällig? 22 ) Verkehrsstau 23-26) auf dem Land 27) Friedenstauben II

 

 Fragwürdige "Kriegsberichterstattung" aus Afghanistan ????

In den Jahren 1984 bis 1989 arbeitete ich als Korrepondent für die Deutsche Presse-Agentur dpa in Indien. Zuständig war ich, wie meine Vorgänger, für ganz Südasien, gleichzeitig aber mussten wir regelmäßig über den Krieg zwischen afghanischen Mudschaheddin und der russischen Besatzungsarmee in Afghanistan berichten, obwohl von uns beteiligten Journalisten jemals in dem unwirtlichen Land am Hindukusch gewesen war, geschweige denn, über zuverlässige Quellen in dieser Region verfügte. Eigentlich war diese Berichterstattung unverantwortlich, weil wir nicht in der Lage waren, auch nur eine einzige Feststellung oder Behauptung unserer Informanten nachzuprüfen. Schließlich weigerte sich die kommunistisch verbrämte Regierung Babrak Karmal in Kabul, westliche Korrespondenten aus Neu Delhi ins Land zu lassen, weil sie als feindselig und US-hörig eingestuft wurden.

 Die Berichterstattung aller großer Nachrichtenagenturen basierte - sehr wohl zu unserem eigenen Missbehagen - auf Informationen und Berichten, die einem kleinen Kreis von uns jeden Dienstagvormittag zwischen 09.00 und 11.00 Uhr Ortszeit von Geheimdienstvertretern der US-Botschaft und anschließend vom Vertreter der britischen High Commission (Botschaft) "zugeflüstert" wurden.  Fragen konnten wir zwar stellen, doch wurden sie  meist erst mit größter Verzögerung von einigen Tagen oder auch Wochen beantwortet. Schließlich hatten auch unsere Informanten in Neu Delhi keine Ahnung vom wirklichen Geschehen am Hindukusch; von einem Krieg, der nach Schätzungen internationaler Beobachter in mehr als zehn Jahren etwa 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Oft vermuteten wir, dass die unvorstellbaren Grausamkeiten, die den russischen Truppen in den Berichten unterstellt worden waren, reine Propaganda waren. Als besonders übel empfanden wir Europäer, dass sich bei den Übertreibungen die Briten ganz besonders hervortaten. Und deshalb trafen wir Europäer eine inoffizielle Vereinbarung. Anders als die Kollegen aus den USA beschlossen wir, auf solche Details zu verzichten, die nach unser aller Meinung auf den gezielten Propaganda-Beiträgen der US- und britischen Geheimdienste beruhten. Was wir dabei übersahen: Die europäischen Medien, auch die Medien in Deutschland, waren durch die zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein halbes Jahrzehnt andauernde "Kriegsberichterstattung" bereits derart durchseucht, dass sie mittlerweile die Blut-triefenden Reports der US-Medien bevorzugten.

 

Alle Texte und Bilder Copyright Christian Fürst 2011