Umwelt/Wissenschaft

Bartgeier, Urforelle und Co.Überleben im "Hohe Tauern-Nationalpark"

Eustachia und Maseta haben sich mit ihrem ersten Flug viel Zeit gelassen: Knapp sechs Wochen, nachdem die jungen Bartgeier ihren Horst hinter einem Wasserfall im malerischen Seebachtal im österreichischen Bundesland Kärnten bezogen haben, treten die Jungvögel an den Rand der Felsnische. Mit ihren breiten Flügeln schweben sie majestätisch hoch über dem Talboden. Ein entscheidender Schritt im (Über)-Leben dieser noch immer vom Aussterben bedrohten Tiere ist gemacht.

 

Im Alter von dreieinhalb Monaten wurden Eustachia und Maseta, die in diesem Jahr im Wiener Tiergarten Schönbrunn und in einem andalusischen Zoo ausgebrütet wurden, in den Nationalpark Hohe Tauern gebracht. Im Rahmen eines internationalen Programms sollten die Tiere, die in den Alpen vor rund 100 Jahren ausgerottet wurden, wieder ausgewildert werden. Und ihre Überlebenschancen stehen mit rund 80 Prozent recht gut.

Fast 160 Bartgeier (lateinisch: Gypaetus barbatus) sind in den vergangenen 20 Jahren so im gesamten Alpenraum ausgesetzt worden; bis zu 25 davon in Österreich. Schwerpunkte des Programms, das in den späten 1980er Jahren vom WWF initiiert wurde, sind neben Österreich Auswilderungsplätze in der Schweiz, Italien und Frankreich. Auch von Deutschland aus wurde das Jahrhundertprojekt unterstützt. Allein die Zoologische Gesellschaft Frankfurt investierte bis heute mehr als 1,2 Millionen Euro in die Wiederansiedlung.

  Im Nationalpark Hohe Tauern, Österreichs größtem Naturpark, finden geschützte Tiere aller Art ideale Überlebensbedingungen vor. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die mehr als 1800 Quadratkilometer große Schutzzone inzwischen zu einem Tummelplatz für Forscher verschiedenster Fachrichtungen geworden. Hier arbeiten Biologen, Zoologen, Klimaforscher oder Geologen aus aller Welt seit Jahren an den unterschiedlichsten Projekten, die von der Wissenschaftlerin Kristina Bauch im modernen Nationalparkzentrum Mittersil betreut und koordiniert werden. Auch vom Aussterben bedrohte Tiere wie der Steinadler, der Steinbock und neuerdings die sogenannte Ur-Forelle haben hier eine neue Heimat gefunden.

Michael Knollseisen, offizieller "Bartgeier-Betreuer", hat seinen beiden Schützlingen Eustachia und Maseta seit ihrer Ankunft von seinem Beobachtungszelt im Tal alle drei Tage Futter hinaufgebracht. Der steile Aufstieg ist äußerst mühsam. Meist sind es fleischlose Skelette von Schafen oder Gämsen, die er auf seinem Rücken trägt und in der Nähe des Horsts ablegt.
 

"Wir wollen, dass sich die Vögel nicht zu sehr an die Unterstützung des Menschen gewöhnen", erzählt Knollseisen. "Die Wiederansiedlung der Bartgeier ist auch ein gesellschaftliches Problem", erläutert der Experte, der bereits die vierte Geier-Aussetzung in den Hohen Tauern betreut. "Im Himalaya gilt der Vogel als heilig. Er wird dort positiv angesehen, weil er nach der Vorstellung der Menschen die Toten in den Himmel bringt."

Anders in Mitteleuropa: Hier haben die Aasfresser im Gegensatz zu dem ebenfalls bedrohten Steinadler einen schlechten Ruf. Sie gelten als furchteinflößende Boten des Todes: "Einer der Bartgeier saß eine Zeit lang regelmäßig hier im Ort auf der Friedhofsmauer", berichtet lachend Andreas Angermann, amtlicher "Ranger" im Naturpark: "Das fanden einige Leute schon reichlich makaber."

Dabei haben die großen Vögel ihren schlechten Ruf völlig zu Unrecht, wie die Experten im Naturpark Hohe Tauern versichern. Bartgeier, die mit ihrer gigantischen Flügelspannweite von bis zu drei Metern ein Revier von bis zu 400 Quadratkilometern kontrollieren und an einem Tag bis zu 500 Kilometer weit fliegen können, sind ausnahmslos Aasfresser. Rund 80 Prozent ihrer Nahrung besteht aus Knochen, Sehnen und Bändern. "Berichte, wonach Geier lebende Lämmer fressen oder gar Kinder geraubt hätten, entstammen der Fantasie."
 

"Die irrige Vorstellung der Menschen vom mordenden Lämmergeier kommt daher, weil man die Tiere oft in Schafsherden herumspazieren sieht. Dort lauern sie allerdings nur darauf, die Nachgeburt von Muttertieren zu fressen", erläutert Knollseisen. Allerdings suchen die Vögel tatsächlich auch den Menschen und sein Umfeld, wie etwa Fleischfabriken. Das nach herkömmlichen Vorstellungen "wenig vorteilhafte" Aussehen der Vögel trägt zu ihrer mangelnden Popularität bei, meint Gunther Gressmann vom Steinadlerprojekt "Aquilasp": "Was die Schönheit betrifft, so gehören die Geier ja wirklich nicht gerade zu den Gewinnern der Evolution". Der majestätische Steinadler, der im Nationalpark inzwischen erfolgreich wieder angesiedelt wurde, ist dagegen ausgesprochen populär, obwohl der hin und wieder auch mal eine Hauskatze "mitgehen" lässt.

 
Inzwischen allerdings weicht die Abneigung der Bevölkerung gegen die imposanten Bartgeier langsam auf. Auch im kommenden Jahr sollen deshalb in den Hohen Tauern wieder Jungvögel mit finanzieller Unterstützung der EU ausgesetzt werden. Wie schon im vergangenen Jahr in Berlin werden die Tiere zuvor beringt, und ihr Gefieder wird so gebleicht, dass sie im Fluge vom Boden aus leichter zu erkennen sind. Anders als in der Schweiz und Italien, wo inzwischen bereits 15 der ausgesetzten Bartgeier-Paare gebrütet und fast 50 Jungvögel aufgezogen haben, sollen die Tiere im Nationalpark jedoch nicht "besendert" werden.
 
"Alles in allem sind wir mit dem Verlauf des Projekts hier sehr zufrieden", meint Bartgeier-Betreuer Knollseisen. Allein in Österreich wurden in den vergangenen Jahren 3000 freiwillige Bartgeier-Beobachter mobilisiert, die zum gesamt-europäischen Netzwerk des Programms beitragen. Nur mit der natürlichen Vermehrung hapert es noch bei den Tieren. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen in den Nachbarländern hat bisher noch keines der österreichischen Paare erfolgreich gebrütet.
 

Bei einer anderen im Nationalpark erforschten Spezies ist die Vermehrung kein Problem. Im wild-romantischen Kalser Dorfertal mit seinen tosenden Wasserfällen und den mit Enzian und bunten Alpenblumen übersäten, saftigen Weiden versucht der Zoologe Niki Medgyesy von der Uni Innsbruck im Rahmen des Projekts Trout Exam Invest eine längst ausgestorben geglaubte Art der Bachforelle, die noch aus dem Mittelalter stammende "Urforelle" wieder heimisch zu machen.    Obwohl die Bachforelle (Salmo trutta) offiziell nicht unter den vom Aussterben bedrohten Arten in Europa erscheint, gilt sie doch als stark "gefährdet". Der Grund: In den vergangenen Jahrzehnten sind die autochtonen (örtlichen) Forellenarten durch den ständigen Besatz der Flüsse und Bäche mit Populationen der sogenannten atlantischen Forelle immer weiter verdrängt worden. Seit dem Jahr 2002 versucht man, diesen Trend im Nationalpark zu stoppen.   "Durch die Regulierung der Bäche, die andauernde Überfischung und Verdrängung durch neu angesiedelte Arten, gab es nur noch eine Reliktpopulation von 200 Fischen", erklärt Medgyesy. "Wir mussten weit ins Gebirge hinaus, um die letzten lokalen Vorkommen zu finden." Durch Gewebeanalysen bis hin zu "Vaterschaftstests" wurden sieben örtliche Linien der ursprünglichen Bachforelle entdeckt, die im Mittelalter von Fürsten und Klöstern im Hochgebirge ausgesetzt wurde, um mit ihrer Hilfe die Fastengebote zu umgehen. Die im Dorfertal ausgesetzte Linie stammt aus dem nahen Anrasersee auf 2450 Metern Höhe, wo Medgyesy Elternpaare entnahm. In den Aquarien der Uni Innsbruck begann er daraufhin, die "Urforelle" gezielt zu züchten.  

  Im Osttiroler Dorfertal hat Megyesy jetzt seinen Arbeitsplatz direkt neben dem bis zu zehn Meter breiten Seebach aufgeschlagen. Milchkühe liegen wiederkäuend im nassen Gras zwischen den Gebirgshängen, und kleine Grasfrösche hüpfen munter in der Vormittagssonne. Entlang des Bergkamms zieht ein Steinadler in großer Höhe seine Bahnen. In dem auch im Sommer nur 5 Grad kalten Gletscherwasser des Seebachs tummeln sich derweil Hunderte der neuen-alten Forellenart.

Doch diese Idylle muss der Zoologe mit seinen Helfern jetzt stören. Mit seiner wärme-isolierten, wasserfesten Kleidung und einem an einer Stange befestigten Fangnetz steigt er in das eisige Wasser. Neben ihm sein Sohn Nikolaus. Der trägt einen Stromgenerator auf dem Rücken, mit dessen Hilfe er mit einer langen Stange kurze Stromstöße in das Wasser schickt, das zuvor mit Kochsalz leitfähiger gemacht wurde.
 
Die Stromstöße sind stark genug, die äußerst beweglichen Forellen kurzzeitig bewegungsunfähig zu machen. Medgyesi fängt sie daraufhin in Ufernähe ein. Anschließend werden die Tiere vermessen und gewogen. "22 Zentimeter" ruft Sohn Nikolaus dem Vater entgegen, der den leicht betäubten Fisch dann auf eine Waage legt. 102 Gramm wiegt diese Forelle, die vor einiger Zeit schon durch zwei Tätowierungspunkte markiert worden ist. Bei einer anderen findet Medgyesy hinter dem Auge ein Plättchen mit einer ID-Nummer, die bei einer Reihe von Tieren implantiert wurden. Mit diesen Markierungshilfen können die Daten einzelner Tiere besser verglichen werden.
 

Einige der gefangenen Fische sind bereits bis zu vier Jahre alt. Sie wurden mit Hilfe künstlicher Befruchtung aus "Urforellen" gezüchtet und dann zunächst in zwei Versuchstälern in St. Jacob (500 Stück) und dann hier im Dorfertal (4000) ausgesetzt. "Wir haben diesen Teil des Seebachs sehr intensiv besetzt", erläutert der Zoologe. "Hier können sich die Forellen gut reproduzieren." Megyesy glaubt deshalb fest an den Erfolg dieses Projekts. "Die Fische sind extrem vital. Wir werden im Herbst die ersten Jungfische haben, die hier gelaicht worden sind, erzählt er. An eine kommerzielle Verwertung der Urforelle denken Megyesy und die Parkverantwortlichen jedoch nicht. Darüber "kann man erst reden, wenn die Urforelle wieder ganz heimisch geworden ist."

 
 

 

Wissenschaftler erforschen Baby-Laute des Pandas

 Der kleine Fu Long spielt munter mit einem frischen Bambuszweig. Plötzlich stößt der Mini-Panda einen quiekenden Laut aus. Sofort eilt Mutter Yang Yang zu ihrem Sohn, säugt ihn und umarmt ihn. Das Rufen des kleinen, kaum fünf Monate alten Bären im Wiener Tiergarten Schönbrunn beschäftigt nicht nur die Bärenmutter. Seit der sensationellen Geburt am 23. August wird Fu Long von Wissenschaftlern der Universität Wien „belauscht“. Und die ersten Ergebnisse sind überraschend.

„Der Kleine kommuniziert erheblich mehr, als wir erwartet haben“, sagt Harald Bruckner, der die Wiener Pandas schon seit ihrer Ankunft in Schönbrunn 2003 wissenschaftlich begleitet hat. „Eigentlich hat das Baby bereits durch Schreie als Neugeborenes auf sich aufmerksam gemacht“, berichtet auch Angela Stöger-Horwath, die Leiterin des Projekts.

Seit seiner Geburt wird Fu Long „abgehört“. Eine fest montierte Videokamera und die parallele digitale Tonaufzeichnung sorgen dafür, dass jeder Ton des kleinen Kerls auf Computer-Festplatten festgehalten wird. Drei Terabyte, also 3000 Gigabyte, Daten sind so bereits auf fünf Festplatten zusammengekommen, die nun zeitaufwendig am Computer analysiert werden müssen.

Da Ton und Videosignal aus technischen Gründen getrennt aufgenommen wurden, müssen Bruckner und seine Helfer praktisch sämtliche Bänder parallel abspielen, um Fu Longs Geräusche mit seinem Verhalten abgleichen zu können. Ziel ist es, jeden einzelnen Laut zu analysieren und einer Handlung des Tieres zuzuordnen.

„Wir haben von Anfang an erwartet, dass das Panda-Baby neben seinen Gerüchen auch durch vermehrte Laute auf sich aufmerksam macht“, berichtet Stöger-Horwath, die durch ihre Forschungen im Bereich der Lautanalyse von Elefanten bereits jahrelange Erfahrung besitzt. „Diese Laute sind für die Bindung zwischen Mutter und Jungem offenbar sehr wichtig.“

Bei erwachsenen Pandas wurden bisher insgesamt elf verschiedene Laute als Mittel zur Kommunikation registriert. „Adulte (ausgewachsene) Bären vokalisieren eigentlich nur während der Paarungszeit“, erläutert Bruckner. Doch auch das Quäken, Grunzen und lautstarke Rufen des Nachwuchses hat offenbar eine Funktion. „Wir haben schon registriert, dass der Kleine Laut gibt, wenn die Mutter zurückkommt. Offenbar ist das dann ein Ruf nach Wärme und Nähe. Und Yang Yang, die nach Angaben aller Panda-Experten in Schönbrunn „eine Supermutter“ ist, reagiert sofort, wenn der Kleine etwas will.

„Allerdings ist Fu Long inzwischen schon weniger lautstark als am Anfang“, sagt Bruckner. Je älter der Kleine werde, desto weniger sei er offensichtlich auf die Laute angewiesen. Doch Bruckner wird die Aktivitäten des kleinen Wuschelbärs, der sich noch nicht an die Öffentlichkeit gewagt hat, noch lange verfolgen.

Immerhin ist das Projekt „Pandasprache“ auf drei Jahre angesetzt. Dabei werden sich die Wissenschaftler jedoch nicht allein auf Fu Long und seine Bärenmama beschränken. Denn auch im berühmten Zoo von San Diego wird inzwischen ein Mini-Panda von seiner Mutter großgezogen. Ein Lautvergleich der beiden Panda-Babys bietet sich also an. (dpa)

 

 


 

Gedanken steuern Armprothese

Der 20-jährige Österreicher Christian Kandlbauer verlor bei einem Unfall vor zwei Jahren beide Arme. Seither war er praktisch ununterbrochen auf fremde Hilfe angewiesen. "Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man fremde Hilfe beim Gang zum WC, beim Essen oder beim Waschen braucht", klagt der junge Mann. Doch das könnte jetzt anders werden. Kandlbauer demonstrierte am Dienstag vor Journalisten in Wien den Prototyp der ersten vollständigen und funktionsfähigen Armprothese, die sich vom Patienten mit den Gedanken steuern lässt wie ein natürlicher Arm. Er ist damit nach Angaben der Entwickler der erste Europäer, der mit Hilfe dieser Technik versorgt wurde.

 

Voraussetzung für das Funktionieren der Prothese, die von Wiener Experten des deutschen Unternehmens Otto Bock zusammen mit Wissenschaftlern in den USA entwickelt wurde, ist eine komplizierte Operation, die neben Wien bisher nur in medizinischen Zentren in Chicago und Seattle möglich ist. Dabei müssen die Nerven, die ursprünglich zu den amputierten Gliedmaßen führten, verlagert werden. Durch diesen Nerventransfer können Signale, die ursprünglich für die Steuerung des Arms verantwortlich waren, auch für die Steuerung der Prothese genutzt werden. Im Schaft der Prothese sind Elektroden eingearbeitet, die die Steuersignale des Patienten aufnehmen.

 

Eine Elektronik im Inneren der Prothese setzt die empfangenen Signale anschließend um und erkennt die gewünschte Bewegung.   Im Gegensatz zu früheren Entwicklungen kann die neue Prothese, mit der in den USA in leichten Abwandlungen inzwischen sechs Patienten ausgestattet wurden, über sieben Gelenke deutlich mehr Bewegungen in verschiedene Richtungen ausführen. Und das von der Schulter bis zur Hand. "Die gedankengesteuerte Prothese ermöglicht eine intuitive Steuerung. Der Patient denkt an die Bewegung seines verloren gegangenen Arms" erläuterte Hans Dietl, Wiener Geschäftsführer des Unternehmens. Die Elektronik leitet die Befehle dann weiter, die von den Motoren umgesetzt werden.


Allerdings ist die Prothese nur für Patienten geeignet, deren Armamputation noch nicht allzu lange zurückliegt. Denn noch vorhandene Nerven des amputierten Arms müssen mit übriggebliebenen Muskelgruppen verbunden werden. Sind die Nerven erfolgreich eingewachsen, trainiert der Patient zunächst die verschiedenen Bewegungsmuster, bis von den Muskelgruppen bei Kontraktion ausreichend starke elektrische Impulse abgenommen werden können. Elektroden leiten diese Impulse dann an die Prothesenelektronik weiter. So wird der künstliche Arm letztlich direkt vom Gehirn gesteuert.

Christian Fürst/DPA