Hamburger Piraten-Prozess

 

Piratenprozess gegen Somalier: Proteste vor dem Hamburger Landesgericht gegen ausländische Interventionen in Somalia

 

Hamburger Piraten-Prozess:  Störtebekers schwarze Erben vor Gericht 

Von Christian Fürst

 

   Ihr erster Auftritt war unspektakulär. Gekleidet in die internationale Freizeitmode, Sweatshirts mit Kapuze, schicke Schirmmützen – natürlich verkehrt herum – und Jeans oder Trainingshosen, betraten die zehn Somalier am Montagmorgen den großen Saal im Hamburger Strafgerichtsgebäude. Bei  der Befragung durch den vorsitzenden Richter, Bernd Steinmetz, antworteten die meisten mit leiser, aber deutlich hörbarer Stimme.  Den zehn Männer und Jugendlichen drohen im schlimmsten Fall immerhin Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren wegen Piraterie am Horn von Afrika.

   Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft:  Sie hatten am 5. April dieses Jahres das unter deutscher Flagge fahrende Containerschiff MV Taipan rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias nach einem kurzen Feuergefecht mit der 13-köpfigen Besatzung geentert und das Schiff in ihre Gewalt gebracht. Doch die Männer  hatten sich verschätzt. Denn die Besatzung des gekaperten Frachters rettete sich rechtzeitig in einen gesicherten Schutzraum  und alarmierte über Funk die internationale Schutzflotte gegen Piraterie. Niederländische Marinesoldaten enterten daraufhin von Hubschraubern aus das Schiff. Die Piraten wurden nach rund vier Stunden von den  Kommandos überwältigt und festgenommen. Zunächst wurden sie nach Holland gebracht. Im Juni wurden die Verdächtigen schließlich aber von den Niederlanden an Deutschland ausgeliefert und nach Hamburg verlegt.

   Ein klarer Fall für die Justiz, so könnte man meinen,  rund  600 Jahre nach dem Prozess gegen den berühmtesten Piraten seiner Zeit, Klaus Störtebeker, und Dutzende seiner „Kollegen“.  Denn immerhin wurden die zehn Männer auf frischer Tat ertappt. Bei ihnen wurden laut Staatsanwaltschaft außerdem fünf Sturmgewehre, zwei halbautomatische Pistolen, eine Handgranate und Enterhaken sichergestellt. Doch anders als im „Fall Störtebeker,  der vor knapp 600 Jahren nach kurzem Prozess mitsamt seiner Komplizen geköpft wurde, können seine  Kollegen von Horn von Afrika heute mit einer hartnäckigen Verteidigung rechnen.

   Das wurde schon am ersten Verhandlungstag deutlich.  Zwar gab sich der vorsitzende Richter bei der Eröffnung bewusst jovial, ging mit sanfter Stimme auf jeden einzelnen der Beschuldigten ein, als er sie um ihre – oft nur schwer aussprechlichen Namen fragte. Doch muss die Anklage mit massivem Widerstand durch die insgesamt 20 Pflichtverteidiger rechnen, die den mutmaßlichen Tätern zur Seite gestellt wurden.

   Sie legten bereits am ersten Verhandlungstag einen Teil ihrer Verteidigungsstrategie offen. In einer gemeinsamen Erklärung bezweifelten die Juristen nicht nur, dass die Untersuchungshaft durch die holländischen Behörden und die anschließende Auslieferung an Deutschland völkerrechtlich überhaupt zulässig war. Selbst im Falle eines Schuldnachweises müssten „die Lebensbedingungen eines jeden Angeklagten unter Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten möglichst genau“ aufgeklärt werden. Zu Berücksichtigen sei auch, welche Folgen etwa die Überfischung der Küstengewässer durch europäische Fangflotten auf das Leben der Somalier vor Ort habe .

   Harte Worte und sogar Häme bekamen die beiden Staatsanwälte zu hören, als der Verteidiger des Angeklagten Abdel Kadir Wasami  dessen sofortige Haftentlassung forderte. Wasami, der zwischen seinen Verteidigern schüchtern und verängstigt wirkte, hatte bei der Befragung  durch Richter Steinmetz erklärt: „Ich bin am 10.3.1997 geboren“. Damit aber, so Verteidiger Thomas Jung, sei  der Junge zum Zeitpunkt der Tat erst 13 Jahre alt gewesen „und nach deutschem Recht nicht strafmündig“!  Scharf ging der Jurist mit den zwei Gutachten der Staatsanwaltschaft ins Gericht, die Wasamis Alter auf „mindestens 15 Jahre“  beziehungsweise „mindestens 18 Jahre“ schätzten.

   Jung sagte, er verfüge über eine Geburtsurkunde des Jungen sowie eine Bestätigung durch den Schulleiter seines jugendlichen Mandanten, wonach die Altersangabe eindeutig stimme. Die medizinischen Gutachten der Anklage seien dagegen fehlerhaft und entsprächen in keiner Weise dem letzten Stand der Wissenschaft.  Aussagen der Staatsanwaltschaft, wonach es wegen der chaotischen Verhältnisse in Somalia unmöglich sei, direkten Kontakt  mit den Institutionen am Horn aufzunehmen, stießen beim Verteidiger auf blanken Zynismus: Mit süffisantem Unterton las er den beiden Anklagevertretern und den etwa 50 Journalisten aus aller Welt alle wichtigen Telefonnummern und die Email-Adresse der Schule vor, in der der Angeklagte Jugendliche gemeldet sei.  „Aus diesem Grund fordere ich die sofortige Aufhebung des Haftbefehls“ forderte Jung.

   Keine Einigkeit herrschte unter den 20 Verteidigern dagegen in der Frage, ob die Öffentlichkeit wegen der Lage der drei noch jugendlichen Angeklagten von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen werden solle. Das Argument, die Veröffentlichungen in den deutschen und internationalen Medien gefährde eventuell die Sicherheit der Betroffenen nach deren künftiger Haftentlassung, konterte ein Kollege. Schließlich habe sich das Meinungsbild in der Öffentlichkeit über den Grund der Piraterie am Horn von Afrika in den vergangenen verändert. Die breite Berichterstattung über den Prozess könne deshalb auch positiv zur Aufklärung  beitragen.

   Die Verhandlung wird am 1. Dezember fortgesetzt. Bereits dann, so meinte der vorsitzende Richter,  könne möglicherweise entschieden werden, ob der jugendliche Angeklagte Wasami  weiter auf der Anklagebank sitzen muss, oder ob er nach Somalia zurückkehren darf. Prozessbeobachter bezweifeln dagegen, dass das Gericht die Medienvertreter von der weiteren Verhandlung ausschließt.  

Christian Fürst, 22. November 2010

 

Hier ein weiterer Bericht zum Piratenprozess