HH - Piratenprozess III

8. Dezember 2010

Piratenprozess: Verteidiger lehnen Gutachter ab - Menschenrechtsverletzungen

Von Christian Fürst (nmms)
 
   Hamburg – Die Verteidiger von zehn mutmaßlichen somalischen Piraten haben am Mittwoch (8. Dezember) Befangenheitsanträge gegen die von der Staatsanwaltschaft benannte Sachverständige gestellt und der Staatsanwaltschaft Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit drei jugendlichen Angeklagten vorgeworfen. In seinem umfangreichen Antrag sagte der Strafverteidiger Thomas Jung, sein möglicherweise erst 13-jähriger Mandant sei von den Hamburger Altersgutachtern ohne Vorankündigung untersucht worden. Dabei habe der Jugendliche auch seine Genitalien entblößen müssen. Erklärungen für die umfangreichen Untersuchungen erhielt der Junge zu keinem Zeitpunkt, da kein somalischer Dolmetscher zur Verfügung stand. Dies sei "rechtswidrig und die Ergebnisse damit gerichtlich nicht verwertbar". Die Staatsanwaltschaft wies die Anschuldigungen zurück.
 
Die Sachverständigen, unter ihnen ein Professor an der Universitätsklinik Eppendorf (Hamburg), hatten den jungen Ahmed W. und zwei weitere Mitgefangene im Juli auf Antrag der Staatsanwaltschaft untersucht, um deren biologisches Alter festzustellen. Im Falle von Ahmed W. kamen sie zu dem Schluss, der Junge sei mindestens 18 Jahre alt. Nach Recherchen seines Verteidigers ist der Junge jedoch tatsächlich 13 Jahre alt und wäre damit nach deutschen Recht nicht strafmündig. Ungeachtet der Befangenheitsanträge setzte der vorsitzende Richter Bernd Steinmetz die Verhandlung am Mittwoch mit der Vernehmung eines der umstrittenen Gutachter fort. Sollte dieser für befangen erklärt werden, dürften seine Aussagen vom Gericht nicht verwertet werden. Bereits am zweiten Verhandlungstag hatte der Richter den Antrag der Verteidiger auf Ausschluss der Öffentlichkeit abgelehnt.
 
Den zehn angeklagten Somaliern wird vorgeworfen,  am 5. April das unter deutscher Flagge fahrende Containerschiff MV Taipan rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias nach einem kurzen Feuergefecht mit der 13-köpfigen Besatzung geentert und in ihre Gewalt gebracht zu haben. Die versuchte Entführung scheiterte jedoch, denn die Besatzung des gekaperten Frachters rettete sich in einen gesicherten Schutzraum  und alarmierte über Funk die internationale Schutzflotte gegen Piraterie. Niederländische Marinesoldaten enterten daraufhin von Hubschraubern aus das Schiff. Die Piraten wurden nach rund vier Stunden von den  Kommandos überwältigt und festgenommen. Zunächst wurden sie nach Holland gebracht. Im Juni wurden die Verdächtigen schließlich von den Niederlanden an Deutschland ausgeliefert und nach Hamburg verlegt.
 
Im Mittelpunkt des Verfahrens steht seither die umstrittene Altersbestimmung von drei jungen Angeklagten. Sollten die Berufsrichter des Hamburger Landgerichts den Argumenten der Verteidigung folgen, müsste zumindest Ahmed W. sofort aus der Haft entlassen und nach Somalia zurückgebracht werden. Nach Meinung seines Verteidigers Thomas Jung haben die von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen bei der Untersuchung gravierende Fehler gemacht. So hätten sie "keinerlei Kommunikation mit den Angeklagten" geführt. Dies allein sei ein Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes und eine Missachtung der Menschenwürde. Doch "Menschenwürde (...) gilt auch für die vermeintlichen afrikanischen Piraten" mahnte Jung. Durch die Art der Untersuchungen sei außerdem auch das "Recht auf Unversehrtheit" der Somalier verletzt worden, meinte der Jurist. Die Gutachter hätten sämtliche fachlichen Standards missachtet, die von ihrer eignen Berufsvertretung für die Altersbestimmung aufgestellt worden seien. "Die Angeklagten haben deshalb Grund zur Sorge, dass die Sachverständigen ihnen gegenüber nicht unbefangen sind".
 
Jungs Antrag wurde von den Verteidigern der beiden anderen jugendlichen Angeklagten unterstützt. Einer von ihnen warf der Staatsanwaltschaft "schlampige Ermittlungen" vor.
 
Wann Richter Steinmetz, der die Verhandlung bisher mit äußerster Umsicht führte, über den Befangenheitsantrag entscheidet, stand am Mittwoch noch nicht fest. Er sagte der Verteidigung allerdings eine baldige Entscheidung zu, da die Altersfrage vor allem für die Haftentlassung des jugendlichen Ahmed W. von entscheidender  Bedeutung sei.
 
Mit welchen Schwierigkeiten das Gericht in dem ungewöhnlichen Prozess zu kämpfen hat, wurde am Mittwoch erneut offenbar: Zunächst beklagte sich ein Angeklagter, er könne einen Dolmetscher nicht verstehen. Ihm schloss sich sofort ein zweiter Somalier an, der nach eigenen Angaben keinen der beiden somalischen Smultandolmetscher vestanden haben wollte. Richter Steinmetz kündigte an, die Frage überprüfen zu wollen. "Ich habe mich vor dem Prozess extra informiert, dass alle Angeklagten den gleichen Dialekt sprechen" meinte der ratlos wirkende Jurist entschuldigend. Warum die Angeklagten während der ersten beiden Verhandlungstage keine Einwände gegen die Übersetzer hatten, konnten deren Verteidiger nicht erklären.
 
Der Prozess wird nach Angaben des Gerichts voraussichtlich bis Ende März 2011 dauern. Die Verhandlung wird am 15. Dezember fortgesetzt.
 
Christian Fürst (nmms)