Fritzl-Prozess und Fall Kampusch

 

Inzest-Prozess: Fritzl legt ein Teilgeständnis ab

 St. Pölten (dpa) - Der Angeklagte verbarg sein Gesicht hinter einem blauen Aktenordner. Wenige Minuten später legte er ein Teilgeständnis über die ihm zur Last gelegte Blutschande ab: Der Inzest-Prozess gegen den 73 Jahre alten Josef Fritzl aus Amstetten hat im österreichischen St. Pölten begonnen.

Er wird beschuldigt, seine Tochter Elisabeth 24 Jahre lang im Keller seines Hauses gefangen gehalten und sie dort tausendfach vergewaltigt zu haben. Die Tochter brachte in ihrem Verlies ganz allein sieben Kinder zu Welt. Sechs der Babys überlebten. Bereits am Nachmittag wurden dem Gericht und den Geschworenen die ersten Videoaufnahmen von der elfstündigen Aussage Elisabeths gezeigt. Wie Fritzl darauf reagierte, wollte ein Gerichtssprecher nicht sagen.

Für den Prozess sind insgesamt rund 200 Journalisten aus aller Welt nach St. Pölten gekommen. Er wird jedoch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. «Dies ist die Tat eines Einzeltäters, nicht das Verbrechen eines ganzen Ortes oder einer ganzen Nation», mahnte die Vorsitzende Richterin Andrea Humer zum Auftakt des ersten Verhandlungstages. Fritzl, der in einem hellgrauen Sakko mit dunkelgrauer Hose ohne Handschellen ins Gericht gebracht wurde, gab auf ihre Fragen mit leiser, aber zunehmend fester Stimme Antwort.

Fritzl wird wiederholte Vergewaltigung, Inzest, fortdauernde Freiheitsberaubung und Sklaverei vorgeworfen. Außerdem wurde die Anklage auch um Mord durch unterlassene Hilfeleistung erweitert, weil er dem im Keller gestorbenen Baby medizinische Hilfe verweigert haben soll. Fritzl selbst bekannte sich in den Punkten Mord und Sklaverei ausdrücklich «nicht schuldig». Zu den Vorwürfen der Vergewaltigung seiner Tochter und der Freiheitsberaubung der Tochter und der mit ihr gezeugten Kinder antwortete er «schuldig» oder «teilschuldig».

Staatsanwältin Christiane Burkheiser (33) wies die insgesamt zwölf Geschworenen zunächst in dramatischen Schilderungen auf die besondere Grausamkeit des Täters hin. Fritzl habe seine damals 18-jährige Tochter Elisabeth 1984 unter einem Vorwand in den von ihm schon lange vorher vorbereiteten fensterlosen Keller gelockt. Dort habe er das Mädchen angekettet und immer wieder vergewaltigt. Neun Monate lang habe er sein Kind in dem völlig dunklen Raum wie eine Sklavin gehalten, betonte Burkheiser. «Er kam, nahm sie und ging wieder.» Erst später erweiterte Fritzl das Kellerverlies wegen der inzwischen geborenen Kinder um zwei weitere winzige Räume.

Besonders ausführlich widmete sich die Anklägerin dem Fall des 1996 geborenen Zwillings Michael, der nach der Geburt an einer schweren Atemwegserkrankung litt. Trotz des verzweifelten Drängens seiner Tochter habe sich Fritzl geweigert, das Kind in eine Klinik zu bringen. Der Säugling starb nach wenigen Tagen. Fritzl verbrannte den kleinen Leichnam in einem Heizofen.

Verteidiger Rudolf Mayer wandte sich zunächst gegen die Medien, die aus Fritzl ja längst «ein Monster» gemacht hätten. Er, Mayer, sei immer wieder beschimpft und bedroht worden, weil er diesen Mann verteidige, sagte der 60-jährige Staranwalt. Und an die Geschworenen gerichtet: «Sie sind nicht Rächer, Sie müssen Emotionen weglassen, sonst werden Sie dem Fall nicht gerecht.» Fritzl sei «kein Monster», rief Mayer den Schöffen zu: «Außergewöhnlich an diesem Fall ist nur, dass sich jemand hier eine Zweitfamilie aufgebaut hat.» Und er fügte hinzu: «Wenn ich das nur wegen des Sex' mach, dann mach ich doch keine Kinder.»

Mayer wies den Anklagepunkt der «Sklaverei» gegen Fritzl zurück. «Sklaverei» setze in jedem Fall ein materielles Gewinnstreben des Sklavenhalters voraus. Auch den Vorwurf des Mordes an dem Baby wies Mayer zurück. «Fritzl ist in diesen Tagen mehrfach in den Keller gegangen, um nach dem Kind zu schauen.» Sollten die Schöffen Fritzl des Mordes schuldig finden, muss er vermutlich lebenslang hinter Gitter. Für die übrigen Vergehen liegt die Höchststrafe bei 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft hat für den Angeklagten wegen seines «abnormen» Verhaltens zusätzlich Sicherungsverwahrung beantragt.

Zum Schutz der Opfer findet der größte Teil der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Aussage des wichtigsten Opfers, der heute 43 Jahre alten Tochter Elisabeth, war zuvor elf Stunden lang auf Video aufgezeichnet worden. Sie wird den acht Geschworenen und vier Ersatzschöffen stückchenweise vorgespielt. Mit dem Urteil wird für diesen Freitag, möglicherweise sogar schon am Donnerstag gerechnet.

Der erste Verhandlungstag vor dem Schwurgericht hatte mit einer makaber wirkenden Szene begonnen. Fritzl betrat den Saal und schützte sein Gesicht mit einem aufgeschlagenen, blauen Aktenordner vor dem einzigen zugelassenen Fotografen und der Kamera des ORF-Fernsehens. Auf die wiederholten Fragen des Journalisten «Wie geht es Ihnen, Herr Fritzl?» blieb der Angeklagte stumm. Etwa fünf Minuten dauerte das stille Spektakel. Dann betrat die Richterin den Saal und Fritzl nahm auf der Anklagebank Platz.

Er sei «Pensionist seit meinem 60. Lebensjahr», sagte Fritzl auf die Fragen zur Person. Monatlich stehe ihm ein «Ruhegenussanspruch» von 1100 Euro zu. Er besitze auch mehrere Immobilien, allerdings laufe ein Konkursverfahren.

Zwei Stunden nach Prozessbeginn wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Es würden jetzt zu viele intime Details zur Sprache kommen, meinte Richterin Humer zur Begründung. Und der Persönlichkeitsschutz von Opfer und Angeklagten habe hier Vorrang. Das Verfahren werde auch an diesem Dienstag ohne Zuschauer fortgesetzt. Dabei soll Fritzl erneut mit Videoaufnahmen der aufgezeichneten Aussagen seiner Tochter konfrontiert werden.

 

Veröffentlicht : 16. März 2009 dpa

 

  

Analyse: Er wollte die Tochter ganz für sich allein

 St. Pölten (dpa) - Am Ende war es Mord: 24 Jahre lang hat Josef Fritzl seine Tochter Elisabeth im Keller seines Hauses gefangen gehalten. Er misshandelte sie, vergewaltigte sie viele tausend Mal und schwängerte sie mehrfach, damit sie - so sagte er aus - für andere Männer künftig weniger attraktiv wäre. Er wollte die Tochter ganz für sich allein. Am letzten Tag seines ungewöhnlich kurzen Prozesses ging es aber nur um einen Augenblick im Martyrium seiner Tochter und ihrer Kinder. Ende April 1996 gebar sie in dem muffigen und massiv gesicherten Kellerverlies in der Ybbsstraße von Amstetten ganz allein Zwillinge, denen sie sogleich Namen gab. Doch der neugeborene Michael war krank. Keuchend lag das Baby im Arm der Mutter; den Vater, der zugleich Großvater war, rührte das nicht. 66 Stunden später starb das Kind, die Leiche wurde von Fritzl verbrannt. 66 Stunden im 210 000 Stunden langen Leiden Elisabeth Fritzls.

Für die acht Schöffen und drei Berufsrichter, die am Donnerstag die Plädoyers der Anklage und Verteidigung hörten, reichten die Indizien aus: Josef Fritzl, das «Monster von Amstetten» - wie ihn die Boulevardpresse getauft hat - muss für dieses Verbrechen lebenslang ins Gefängnis. Unberücksichtigt blieben bei diesem Strafmaß all die anderen Grausamkeiten, die der 73-jährige Elektriker im Laufe der 24 Jahre begangen hat. Die Sklaverei, die Vergewaltigungen, die fortdauernde Freiheitsberaubung, die Misshandlungen, Fußtritte, Drohungen, Nötigung oder Blutschande. Die Strafen für die Vielzahl an Verbrechen werden in Österreich nicht addiert.

Zum Abschluss des Prozesses, der mehr als 200 Journalisten aus aller Welt ins Provinzstädtchen St. Pölten lockte, hatte der sichtlich angeschlagen wirkende Angeklagte das letzte Wort: «Ich bereue es aus ganzem Herzen, was ich meiner Familie angetan habe. Ich kann es leider nicht mehr gut machen. Ich kann nur schauen, den Schaden nach Möglichkeit zu begrenzen», sagte er leise und wie auswendig gelernt. Fritzl, so schilderte sein fast ratlos wirkender Verteidiger Rudolf Mayer, war im Lauf der dreieinhalb Verhandlungstage sichtbar «verfallen».

Vor allem die auf Video aufgezeichnete, elfstündige Aussage seines Hauptopfers Elisabeth, die ihm am Montag und Dienstag vorgespielt wurde, habe ihn emotional aufgerührt, sagte der Anwalt in seinem eher nüchternen Plädoyer. Als Elisabeth, die mit ihren Kindern für die Dauer des Prozesses vor der Meute der internationalen Paparazzi in die Landesklinik Amstetten-Mauer geflüchtet war, dann am Dienstag auch noch - heimlich und unerkannt - im Gericht erschien sei, «war's mit ihm ganz aus». Fritzl suchte psychiatrischen Beistand und legte am nächsten Morgen ein umfassendes Geständnis ab.

Dass Fritzl nach seinem Geständnis von den Geschworenen in allen Punkten einstimmig «schuldig» befunden wurde, und dass er das harte Urteil sogleich annahm, kam letztlich doch überraschend. Sein spätes Geständnis wurde ihm angesichts seiner Verbrechen nicht als «Milderungsgrund», sondern lediglich als «Bestätigung» angerechnet. «Lassen Sie sich nicht täuschen, laufen Sie nicht in diese Falle» warnte die junge Staatsanwältin Christiane Burkheiser (33) die Geschworenen am Schluss ihres Plädoyers.

Mit dem Urteil ist der «Fall Fritzl» zunächst abgeschlossen. Vor allem in seinem Heimatort Amstetten, wo Fritzls «Haus des Grauens» in der Ybbsstraße 40 zum Verkauf steht, wird die Bevölkerung jetzt aufatmen. Dass sie besonders unter dem massiven Medieninteresse der vergangenen elf Monate litt, wurde zuletzt überdeutlich: Aus «grundsätzlichen Erwägungen» gab der Bürgermeister in den Wochen vor dem Prozess keine Interviews mehr. Denn in Amstetten will man sich amtlich auch heute noch keiner Schuld an dem «Jahrhundertverbrechen» Josef Fritzls bewusst sein. Bis heute hat keine Kommission geklärt, wie es geschehen konnte, dass dieser Mann das örtliche Sozialamt jahrzehntelang derart täuschen und sein verbrecherisches Tun verheimlichen konnte. An einen Untersuchungsausschuss werde auch nicht gedacht, hieß es vor dem Prozess in der Stadt.

Der Fall Fritzl, so kann man allenthalben hören, sei ein Einzelfall. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Alpenrepublik oder gar der kleinbürgerliche Mief in der ländlichen Region, der international als Ursache für das Verbrechen genannt wurde, werden als möglicher Humus für Fritzls lange unbemerkte, oder ignorierte Untaten bestritten. «Dies ist die Tat eines Einzeltäters, nicht das Verbrechen eines ganzen Ortes, oder einer ganzen Nation» mahnte die Vorsitzende Richterin Andrea Humer Geschworene und Prozessbeobachter zum Auftakt des Inzest-Prozesses in St. Pölten. Zu den Ursachen sagte sie nichts.

Veröffentlicht 19. März 2009 dpa

 

 


 

Fall Natascha Kampusch

Acht Jahre im Verlies - Und niemand schöpfte Verdacht

Wien - Die Fahrbahn vor der Heine Straße 60 ist an diesem Donnerstagmorgen weiträumig abgesperrt. Nachbarn führen ihre Hunde Gassi, Jogger laufen an den Eisengittern vorbei, werfen einen flüchtigen Blick auf das gelbe Haus, hinter dessen Mauern der 44- jährige Wolfgang Priklopil mehr als acht Jahre lang sein Entführungsopfer versteckte. Wie konnte es geschehen, dass hier niemand etwas von dem Verbrechen bemerkte? Selbst die Mutter des Kidnappers nicht, die die kleine Natascha Kampusch aus Wien- Donaustadt bei einem Besuch sah, aber den Ausreden des Sohnes glaubte.

„Es ist eine Tragödie“, klagt eine 80-jährige Passantin im Vorübergehen: „Hier kümmert sich keiner um den anderen!“ Fast achteinhalb Jahre verbringt die bei ihrer Entführung zehnjährige Natascha hinter den isolierten Mauern der zum Verlies ausgebauten Garage Priklopils. Ihr Gefängnis befindet sich in einer drei mal vier Meter großen Montagegrube. Fenster gibt es in dem nur 1,60 Meter hohen Raum nicht. Die Tür zur Außenwelt hatte der gelernte Nachrichtentechniker von einem Panzerschrank genommen. Der Ausstieg zur Freiheit ist gerade 50 mal 50 Zentimeter groß. Der inzwischen 18- jährigen Kampusch gelingt die Flucht am Mittwoch nur, weil ihr Peiniger vergessen hat, die enge Einstiegsluke hinter sich zu verschließen. Verwirrt und vermutlich in Panik rennt Natascha auf ein Nachbargrundstück und ruft einer älteren Frau ihren Namen zu, und: „Ich bin entführt worden.“ Dann bricht sie nach Schilderungen von Augenzeugen in Tränen aus.

Der wohl spektakulärste Kriminalfall in der österreichischen Nachkriegsgeschichte hat ein glückliches und vor allem unerwartetes Ende gefunden. Doch viele Fragen bleiben: Warum hat Priklopil die Zehnjährige überhaupt entführt? Was trieb ihn dazu, das Kind in einem durch Attrappen von Alarmanlagen gesicherten Gefängnis zu verbergen? Ob der von Nachbarn als „Einzelgänger“ beschriebene Täter sich an seinem Opfer vergangen hat, ist noch unbekannt. Die Ermittler haben die junge Frau, der ihre Jungend gestohlen wurde, dazu noch nicht befragt, „wollten sie erst einmal schonen“.

Ein brutaler Kinderschänder vom Typ des Belgiers Marc Dutroux, war Priklopil offenbar nicht. Zwar lässt er sich von dem Kind jahrelang mit „Gebieter“ anreden, aber er versorgt das Mädchen mit Nahrung, bringt ihr Bücher und auch Videokassetten, die er dann fein säuberlich in einem Regal neben ihrem Klappbett aufstellt. Jahrelang sieht Natascha kein Tageslicht. Die Wände sind schalldicht. Schreien ist zwecklos. Möglicherweise nimmt er das verzweifelte Mädchen, das er durch die Isolation völlig an sich gebunden hat, sogar zu einem Einkauf mit. Dies aber ist nur eine Vermutung der Polizei. Die junge Frau leidet nach Aussagen der Polizei eventuell an einem schweren Stockholm- Syndrom, einer durch die Auswegs- und Hoffnungslosigkeit bedingte Bindung des Entführungsopfers an den Täter.

Wiener Psychologen meinten am Donnerstag, das Trauma der Natascha Kampusch, die durch die jahrelange Isolierung ihre Kindheit verlor, sei heilbar. Doch die Therapie des Mädchens, so die Traumatherapeutin Eva Münker-Kramer, werde Jahre dauern. Das wirkliche Tatmotiv des Entführers wird nach seinem Selbstmord nicht mehr zu klären sein. Dazu der Kriminalpsychologe Rudolf Egg (Wiesbaden): „Sein Hauptmotiv dürfte wohl gewesen sein, jemanden zu haben, der bei ihm bleibt und ihn nicht verlässt. Möglicherweise war er ein Mensch, der sehr einsam war.“ (dpa)