Lear - Shakespeares Königstragödie als brutaler Wirtschaftsalbtraum
Reimanns grandioser "Lear" - Shakespeares blutiges Drama als moderne Oper
von Christian Fürst, nmms
Einige Premierengäste verließen die Staatsoper schon zur "Halbzeit", was der Kritiker des "Hamburger Abendblatts" als "Akt von Feigheit" einstufte. Doch die übrigen Premierengäste erlebten bei der Hamburger Erstaufführung von Aribert Reimanns "Lear" nach William Shakespeare eine musikalische Darbietung auf allerhöchstem Niveau. Das Orchester der Staatsoper spielte unter seiner oft gescholtenen Generalmusikdirektorin Simone Young in absoluter Höchstform, und auch die Sänger - allen voran der Däne Bo Skovhus in der Titelrolle - brillierten in diesem höchst schwierigen Stück, das sich rund 35 Jahre nach seiner Entstehung als "moderner Klassiker" und als Meisterwerk bestätigte.
Zurecht gab es von den Premierengästen, die der hochdramatischen Musik bis zum Schluss zuhörten, am Ende starken Beifall.
Mit "Lear" präsentierte die Hamburger Staatsoper in der laufenden Saison bereits die zweite Neuinszenierung, die in ihrer Bedeutung auch international Anerkennung finden dürfte.
Lear (Bo Skovhus) am Ende - Der Plan, sein Reich neu zu ordnen und aufzuteilen, endet in Anarchie und einem Blutbad
Physische und psychische Gewalt sind die Elemente, auf denen fast alle Königsdramen Shakespeares aufbauen
Ursprünglich war Reimanns "Lear" sogar eine Auftragsproduktion des damaligen Hamburger Intendanten August Everding für das Haus an der Dammtorstraße. Doch dann verließ Everding das Haus Richtung München und nahm die komplexe Partitur gleich mit an die Isar. Dass Simone Young, die sich durch ihre kürzliche Orchesterschelte in Wien in Hamburg nicht gerade beliebter gemacht hat, sich der enorm schwierigen Oper annahm und sie auf den Spielplan dieser Saison setzte, überraschte viele. Fast drei Jahre studierte sie die Partitur, die auch die Musiker vor größte Herausforderungen stellte. Regisseurin Karoline Gruber befasste sich mehr als zwei Jahre mit dem Stück, bevor sie die Oper inszenierte.
Tödliche Fehlentscheidungen
Gruber hat den hochpolitischen Stoff Shakeaspears in die Moderne verlegt, und den Konflikt und die blutigen Intrigen um die Nachfolge König Lears mit der Aura eines Machtkampfs innerhalb eines großen Wirtschaftskonzerns umgeben. König Lear (Bo Skovhus) hat sich entschlossen, seine Nachfolge zu regeln und sein Land aufzuteilen. Dabei macht er einen kapitalen Fehler: Er verbannt die einzige seiner Töchter (Goneril, Katja Pieweck), die ihn wirklich liebt. Die beiden anderen, Regan (Hellen Kwon) und Cordelia (Ha Young Lee) haben nichts anderes im Sinn, als die übrigen Mitbewerber auszuschalten und vor allem Lear endgültig auszubooten. Dass sie das ohne alle Skrupel tun, entspricht nur der Shakespeare'schen Vorlage. Auch wenn sie schon einmal selbst über die eigene Grausamkeit in Entsetzen ausbrechen.
Am Ende Tod und Wahnsinn
Aribert Reimann (1936) hat mit seinem "Lear" eine Oper geschaffen, die an düsteren Klangfarben kaum mehr zu übertreffen sein wird. Beeinflusst haben ihn dabei die eigenen Erfahrungen und der Verlauf des vergangenen, durch Krieg und Zerstörung geprägten Jahrhunderts: "Ich glaube, dass unsere Psyche, unser Denken, auch unsere Sprache durch das, was wir in diesem Jahrhundert durchgemacht haben, so offen sind für das, was sich in diesem ,Lear' ereignet. Darum haben wir auch den ,König' im Titel weggelassen. Lear kann für jeden stehen", zitiert ihn das "Hamburger Abendblatt."
Dass sein knapp dreistündiges Werk zu den meistgespielten modernen Opern-Tragödien gehört , ist der Urgewalt seiner musikalischen Sprache zu verdanken, die den geübten Hörer vom ersten bis zum letzten Augenblick zu fesseln vermag.
Hier gibt es Text und Bild zu einem anderen "King Lear", der 2010 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Premiere hatte
copyright Christian Fürst 2012