Flavius Bertaridus
"Flavius Bertaridus" - Barockoper einmal anders
von Christian Fürst, nmms
Wenn auf der Bühne ein Mann mit Frauenstimme singt und eine Frau als Mann verkleidet ist, dann weiß der erfahrene Opernbesucher, er ist in einer Barockoper! In der Hamburger Staatsoper geschieht zurzeit genau dieses. Und zwar auf höchst erfolgreiche Weise. Zum 333. Geburtstag der einst über deutsche Grenzen hinaus renommierten Sangesbühne hat Operndirektorin Simone Young die sehr selten gespielte Telemann-Oper "Flavius Bertaridus. König der Langobarden" ausgewählt. Fast 300 Jahre nach der nach der Uraufführung des Werks in der Vorgänger-Bühne der Staatsoper (am Hamburger Gänsemarkt) hatte das Werk jetzt Premiere.
Und sowohl mit der Auswahl des Werks, als auch mit der Inszenierung (Jens-Daniel Herzog) und der musikalischen Einstudierung durch den anerkannten Barockspezialisten Alessandro De Marchi ist Young ein Glücksgriff gelungen. Die Kritiken jedenfalls waren nach der Premiere überaus positiv, wie schon zuvor bei der Aufführung während der Innsbrucker Festwochen.
Aus dem etwas verwirrenden Geschehen der ursprünglichen Telemann-Oper hat Regisseur Herzog eine total modernisierte Handlung gestrickt, in der der an die Macht gekommene Herrscher Grimoaldus (Antonio Abete) einen durch und durch unsympathischen Despoten a la Muamar Ghaddafi abgibt, während seine Opfer, König Flavius (Maite Beaumont), seine Frau Rodelinda (Tatiana Lisnic) und sein Sohn Cunibert (Katerina Tretyakonva) auf Parkbänken als Obdachlose nächtigen. Auch den Handlungsverlauf im zweiten Akt (siehe Infobox links) ist zeitgemäß umgesetzt: Grimoaldus, ausgewiesener Weiberheld, vergewaltigt die Ehefrau von Flavius und wird darauf selbst gemeuchelt. Am Ende wird Flavius als Volkskönig vereidigt. Doch um das happy end nicht zu naiv zu gestalten, lässt Regisseur Herzog den toten Despoten wiederauferstehen. Den Rest mag man sich denken.
Am Ende siegt die Gerechtigkeit, aber das Böse lauert bereits wieder um die Ecke - Ein wenig Ironie oder Realismus zum Ende einer faszinierenden Oper
Ein Widerling Ghaddafi'scher Ausmaße: König Grimoaldus als notorischer Grapscher
Regisseur Herzog hat es geschafft, die aktuelle Handlung punktgenau und synchron unter die 280 Jahre alte Handlung Georg Philipp Telemanns zu legen und so den Spannungsabogen von der ersten bis zur letzten Szene zu erhalten. Und dort, wo es langweilig werden könnte, unterlegt er Orchester und Solisten mit passenden Szenen (etwa "koksende" Frauen auf der Damentoilette, siehe Foto). Die für Opernsänger durchaus beachtlichen schauspielerischen Darbietungen verhelfen dem Ganzen zu einer überzeugenden Inszenierung. Besonders schön der Gesang des Flavius (Maite Beaumont), ein wenig metallisch der kanadische Counter-Tenor von David DQ Lee als beflissener und ängstlicher Onulfus
Ein Obdachloser wird als angeblicher Oppositioneller verprügelt und verhaftet, weil der verkleidete Flavius zuvor Huldigungsplakate für Diktator Grimoaldus abgerissen hat
"koksende" Damen im Restaurant als Nebenhandlung
Alle Texte und Fotos copyright Christian Fürst 2011