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"Purgatorio" in der Kritik

 

Das schrieb dpa:

Lloyd Riggins, schon Neumeiers ingeniöser Aschenbach in «Tod in Venedig», übertrifft sich noch in seiner Studie des verzweifelt liebenden Künstlers, dem der Tod am Ende die Erlösung und die spirituelle Verbindung von Geliebter und Mutter im innig entrückten Pas de deux mit Bouchet bringt. Beider hingebungsvolle Leistung belohnte das Publikum zu Recht mit Ovationen. Hier erscheint noch einmal der emotionale Kern des Balletts, in dem Neumeier eines seiner Hauptthemen umkreist: Die Passion des durch seine Begabung einsamen Künstlers und dessen Kampf zwischen Eros und Auftrag, Leben und Werk.

 

"Hamburger Abendblatt":

...""Purgatorio" ist der Titel des neuen Balletts von John Neumeier, Chef des Hamburg Balletts, mit dem er Sonntagabend die 37. Hamburger Ballett-Tage eröffnete. Und mit dem ihm und seinem Protagonisten Lloyd Riggins (Gustav Mahler) selten (so) intensive und zu Herzen gehende Studien einer zerrissenen Künstlerseele gelungen sind. Diese Meisterleistung wurde denn auch am Schluss vom Premierenpublikum mit lautstarken Ovationen honoriert... "was das Publikum an diesem Abend in der Staatsoper zu sehen bekommt, ist feinstes Ballett-Theater"...

 

In "Tanznet.de" heißt es:

..." Lloyd Riggins verleiht Gustav Mahler genau das richtige Maß an Verzweiflung und Selbstversponnenheit, Hélène Bouchet ist eine grandiose, höchst expressive Alma, Thiago Bordin ein verführerischer und doch scheuer Walter Gropius, Alexandre Riabko steht für Mahlers „Creator Spiritus“, seinen Geist der Kreativität, mit einer tief in sich ruhenden Sicherheit und Souveränität – das alles ist ganz, ganz große Tanzkunst.

Bühnenbild und Kostüme hält Neumeier angenehm schlicht, sein raffiniertes Lichtkonzept weiß er effektvoll zu platzieren. Die Prospekte wechseln vom weichen Alpenpanorama mit See (Toblach) zu grob verwischtem Hintergrund, mal blau-grün, mal grau-blau. Das Komponierhäuschen symbolisiert ein rotes Lattengerüst, das Mahler Schutz bietet, in das er sich immer wieder flüchtet, das jedoch auch zum Käfig wird.

Almas Lieder wurden traumschön und anrührend schlicht gesungen von der niederländischen Sopranistin Charlotte Margiono, die ihre aktive Bühnenkarriere eigentlich schon beendet hatte, für diese Aufführungen aber dankenswerterweise noch einmal zurückgekehrt ist. Simone Young persönlich dirigierte die beseelt aufspielenden Hamburger Philharmoniker, und wer genau hingehört hat, wird den einmalig schönen Strich des in Hamburg schmerzlich vermissten früheren Konzertmeisters Anton Barakhovsky vernommen haben, der für diese Premiere eigens aus München angereist ist. Großer Applaus für das gesamte Ensemble, das auch ein einsames Buh nicht trüben konnte."

 

"Verriss" von "Die Welt":

..."Doch an diesem zähen Abend stimmte gar nichts. Erschreckend, mit was für biederen, beliebigen Klischees John Neumeier es sich und seinen ihn natürlich loyal bejubelnden Zuschauern schwer macht. Da gibt es zwar Momente, wo sich der pathosdurchzuckte Lloyd Riggins als auch phänotypisch ähnlich asketischer Mahler und Hélène Bouchets steif starrgesichtige Alma annähern und absondern, wo die Choreografie anrührende, intime und innovative Ausdrücke des Umklammerns, Abstoßens, Anschmiegens, Nichtloslassenkönnens findet. Doch statt diesem Prozess zu vertrauen, ihm Raum zu geben, werden zu viele Hilfskonstrukte und Fußangeln eingebaut, die hemmen, logisch nichts bringen, die Identifikation erschweren"... "Verschenkt, vertan. In diesem Fegefeuer wird nichts gereinigt, alles nur noch mehr zugekleistert. Was in der prächtigen neumeierschen Mahler-Sammlung ein Höheflug hätte werden sollen, endet nach viel Mahler-Kampf und -Krampf als banale Bauchlandung."

John Neumeiers "Purgatorio" - Mahlers Fegefeuer

John Neumeiers "Purgatorio" - Gustav Mahlers Fegefeuer

Text und Bilder von Christian Fürst, nmms

Die Zahl 13 brachte John Neumeier Glück und einhellig gute Kritiken. Mit "Purgatorio" (Fegefeuer) hatte am Sonntagabend seine 13. Choreographie Uraufführung auf der Bühne der Hamburger Staatsoper, die sich mit dem Leben und/oder Musik Gustav Mahlers beschäftigt. Neumeiers Beschäftigung mit Mahler begann bereits 1975 mit seiner berühmten Choreographie zur 3. Sinfonie, die ganze Heerscharen von Ballettfreunden  zu dauerhaften Mahler-Fans machte. Seither hat der große Komponist und Dirigent und seine Leiden-schaftliche Beziehung zu seiner Frau Alma Schindler den seit nun mehr als 35 Jahren in Hamburg lebenden US-amerikanischen Choreographen nicht mehr losgelassen.

 

 

 Zu Mahlers 100. Todestag befasst sich Neumeier nun direkt mit der Beziehungskrise zwischen Gustav und Alma, die der Komponist einerseits vergötterte, sie andererseits vernachlässigte und  ihr etwa in den ersten Ehejahren verbot, selbst zu komponieren. Er brauche eine Frau und keinen "Collegen" soll er über Almas Ambitionen gesagt haben. Alma wiederum, die über 20 Jahre jünger war und im Laufe ihres späteren Lebens zahlreiche Affairen hatte, verherrlichte Mahler nach dessen Tod förmlich. So hängte sie angeblich über ihrem Bett ein großes Bild des Komponisten auf, der fortan bei all ihren Beziehungen auf seine "Nachfolger" herabschauen konnte.

John Neumeier, der unter anderem Thomas Manns "Tod in Venedig" zu Mahlers Musik choreographierte, hat für sein neues Ballett dessen zehnte Sinfonie zur musikalischen Vorlage des zweiten Teils genommen. Ihr unvollendeter dritter Satz wurde vom Komponisten "Purgatorio" (Fegefeuer) überschrieben. Mahler begann seine letzte Sinfonie zu einer Zeit, als er von Almas Affaire mit dem später berühmten Architekten Walter Gropius erfuhr. Für den gesamten ersten Teil des Balletts verwendet der Hamburger Choreograph orchestrierte Lieder Almas, die von der holländischen Sängerin Charlotte Margiono seelenvoll interpretiert wurden.

 

 

Berührender Pas de Deux aus dem 1. Teil des Balletts

 

Neumeier benutzt für das insgesamt zweieinhalb-stündige Werk die vom britischen Musikwissenschaftler Deryk Cook fertiggestellte Fassung der "Zehnten", die 1963 von Alma persönlich authorisiert worden war. Sie gilt bis heute als absolute Krönung des sinfonischen Schaffens überhaupt.

 

"Purgatorio" : Besetzung der Uraufführung:

(laut Homepage des Hamburg Balletts: www.hamburgballett.de/ )

Musik

1. Teil

Lieder von Alma Maria Schindler-Mahler

Die stille Stadt
In meines Vaters Garten
Laue Sommernacht
Bei dir ist es traut
Ich wandle unter Blumen
Licht in der Nacht
Waldseligkeit
Lobgesang

 

2. Teil:

Zehnte Sinfonie von Gustav Mahler
Konzertfassung des Entwurfs:
Deryck Cooke
Choreografie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzept - John Neumeier

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Uraufführung
Hamburg Ballett, Hamburg, 26. Juni 2011


Originalbesetzung:

 Lloyd Riggins

Aleix Martinez
Alexandr Trusch
Konstantin Tselikov
Kiran West
Hélène Bouchet
Thiago Bordin
Alexandre Riabko
Anna Polikarpova

Joëlle Boulogne
Carsten Jung
Anna Laudere
Edvin Revazov

Es spielte das Orchester der Hamburger Staatsoper unter Simone Young.

 

 

 Hamburgs Ballettdirektor und Choreograph John Neumeier