Vom Werden einer Orgel

 

 

Vom Werden einer Orgel - Die Kirche St. Pauli

 

EINE BILDREPORTAGE VON ANDREAS PAWLOUSCHEK

 

Ambiente

 

Im Kirchhof spielen kleine Kinder in einer großzügig angelegten Sandkiste. Sie vergessen die Welt, haben keinen Blick übrig für die Silhouette der nahe gelegenen Elbe und das Treiben in den großen Docks von Blohm und Voss. Sie nehmen auch nicht das rege Hin und Her war, das in und um das Gotteshaus herrscht an einem Tag, an dem sonst eher Stille die Kirche St. Pauli umgibt. Der Heilige Paulus ist der Namenspatron und die Kirche Namensgeber für den Stadtteil St. Pauli, in dem sie liegt. Zur Reeperbahn, der sündigsten und auch kriminellsten Meile der Freien und Hansestadt Hamburg,  ist es nur einen Steinwurf weit, zur Elbe vielleicht zwei. Drinnen, in dem schlichten Innenraum wird gearbeitet – hart, konzentriert und sehr gekonnt. Orgelbauer sind zu Gange. Sechzig lange Jahre musste die Gemeinde der St. Pauli Kirche auf den festlichen Klang einer Orgel verzichten, und mit einem inzwischen in die Jahre gekommenen Yamaha-Flügel vorlieb nehmen. Dann ging alles recht schnell. Es wurde geplant, organisiert und gesammelt. Von den etwa 250-tausend Euro, die für die neue Orgel ausgegeben werden müssen, steht der absolut größte Teil bereits zur  Verfügung. Der Rest wird kommen, wenn der Klang der Orgel erst einmal die Herzen der Kirchgänger, Besucher und vor allem der Musikfreunde anlocken und erfreuen wird. Denn eines sei hier bereits versprochen - sie klingt. Und sie klingt wie sie aussieht - wunderbar...

 

Die St. Pauli Kirche zu Hamburg

 

Men at work - die Orgelbauer aus Ostfriesland

 

 

Orgelbauer Bartelt Immer - Anspannung und Erlösung beim Intonieren

 

Sie kommen von weit im Westen der Republik, aus Norden in Ostfriedland. Hier lebt man nahe der Nordsee. Zur niederländischen Grenze ist es nicht weit. Orgelbauer Bartelt Immer hat sich und seine Werkstatt auf einem alten Bauernhof angesiedelt. Warum er ausgewählt wurde, der St. Pauli Kirche die langersehnte Orgel zu erbauen steht auf der Homepage der Gemeinde:

 

" Überzeugen konnte Bartelt Immer vor allem durch seine Sensibilität für den Klang der selbst gebauten Pfeifen, seine hervorragende handwerkliche Ausführung und durch seine Verbindung zu Johann Hinrich Wohlien, dem ersten Orgelbauer der 1820 neu erbauten St. Pauli Kirche .... In Anlehnung an die Orgel von Johann Hinrich Wohlien von 1822 entsteht nun ein Instrument, welches klanglich den frühen Beginn der Romantik kennzeichnet. Die Orgelpfeifen erhalten Mensuren von Schnitger, Wohlien und Janssen."

 

 

Die Wohlien Orgel. Erbaut 1821/22

 

 

                                                                   copyright St. Pauli Kirche 2011

 

Nach mehr als einem Jahr Bauzeit war das Werk vor Ort getan und bei Eis und Schnee machte sich Bartel Immer auf den Weg nach St. Pauli, wo ich ihn am sechsten Tag nach Arbeitsbeginn traf. Er und sein Team sind von großem Ernst geprägt - sie wissen um das Einmalige ihres Schaffens aber auch um die Verantwortung und die Hoffnungen, die auf ihnen ruhen.  Faszinierend zu erleben, mit welcher handwerklichen Kunst dieses riesige Instrument aus schier unzähligen Einzelteilen zusammengebaut wird. Hier kann zu Recht von Ästhetik des Handwerks gesprochen werden.

 

Wer die Qualitätsbesessenheit dieser Männer wahrnimmt muss zwangsläufig auch mit Respekt früherer Orgelbauer gedenken. Mit welch unvergleichlich einfacheren Gerätschaften haben sie bereits vor Jahrhunderten ihre Instrumente gebaut. Orgeln, die hervorragend konstruiert und gebaut sind und auch heute noch das Herz der Musikfreunde aufgehen lassen. Ob unsere neuen Orgeln ebenso lange halten werden, und genau so gut oder gar besser klingen wie die alten - Bartel Immer gibt seiner Orgel alle Chancen, hunderte von Jahre alt zu werden. 

 

 

Was die Dinge im Innersten zusammenhält... 

 

Es ist das Ineinandergreifen von Handwerk, Kunst und Enthusiasmus, das beim Zusammenbau der Orgel die Macher zu beflügeln scheint, und das sich aus der Geschichte nährt. Hier wird nicht wie in Halle X des Autobauers Y das 400tausendste Fahrzeug vom Typ Z gebaut, auch sehr sorgfältig, aber eben in Serie. In der Kirche ST. Pauli entsteht ein Unikat, ein unverwechselbares Instrument zum Erzeugen von Tönen. Ein Gesamtkunstwerk, das noch lange Zeiten vom Willen der Kirchenoberen, der Gemeinde und ihren Gönnern, vor allem aber vom Konstrukteur und Erbauer zeugen wird. Und so wird zu Beginn des Jahres 2011 auf enem neuen Instrument Musik erklingen, die ein  J.S. Bach bereits vor dreihundert Jahren für die Königin der Instrumente schrieb - die Orgel.

Strahlen soll nicht nur der Klang... 

 

Wie der Bauch von Paris so verbergen sich die Eingeweide einer Orgel. Es ist Privileg und Vergnügen zugleich, dem Werden einer Orgel folgen zu dürfen, was in Deutschland etwa einhundert mal im Jahr geschieht. Es ist dem Außenstehenden selten klar, wie und was eine Orgel im Innersten zusammenhält, wo Mechanik endet und Akustik beginnt und wie Luftströme  geleitet werden, um genau den Ton zu erzeugen, der gewünscht wird - und ja keinen anderen. Über die Materie ist viel zu sagen. Zwei Tonnen wiegt alleine der Rahmen, der aus jahrelang abgelagertem Eichenholz gebaut ist. Eine entschieden bessere Verwendung als für Weinfässer meint der Autor, hier mehr Musik- als Weinfreund. Die glänzenden Pfeifen sind aus einer nichtoxydierenden Zinn-Blei Legierung, für die Ewigkeit gebaut.

 

Am Sonntag, dem 23sten Januar, wurde die Orgel feierlich eingeweiht. Ein  Orgelwochenende wird folgen mit renommierten Künstlern und spannendem Programm. Hinter den Orgelbauern liegen anstrengende Wochen. Ihnen sei gedankt, dass sie meine Fotoarbeiten nicht nur geduldet, sondern, wo möglich, auch positiv begleitet und gefördert haben. Für Störungen des Arbeitsablaufes bittet der Autor nachträglich um Verzeihung. Die Aufnahmen wurden mit dem vorhandenen Licht gemacht, das bei trübem Januarwetter eher verhalten durch die matten Kirchenfenster schien. Einige Leuchten gaben den Orgelbauern ein wenig zusätzliche Orientierung bei ihrem Tun - dem Fotografen nicht immer zur Freude.

___________________________________________________________________________________________________________________________________________ 

 

Orgelbauer Bartelt  Immer aus Ostfriesland  stellt sein Werk und seine Philosophie vor: http://orgelbau-immer.de/

Die Kirche St. Pauli präsentiert sich und  die neue Orgel: http://www.stpaulikirche.de/de/

Und wenn es Sie interessiert, wie  es in St. Pauli auch aussehen kann: Hier die Fotostrecke von Christian Fürst 

  

Text und Bild copyright Andreas Pawlouschek 2011