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Strawinski über das "Sacre":

 

„Als ich in St. Petersburg die letzten Seiten des ,Feuervogels‘ niederschrieb, überkam mich eines Tages – völlig unerwartet, denn ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt – die Vision einer großen heidnischen Feier: Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen. Das war das Thema von ,Le sacre du printemps‘.“

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Hintergrund -
Das Frühlingsopfer
(nach Wikipedia)

Die Uraufführung fand am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées in Paris statt. Während Djagilew sich wohl insgeheim einen Theaterskandal erhoffte, rechneten die Mitwirkenden, Strawinski eingeschlossen, offenbar nicht damit. Bereits vom ersten Ton des für damalige Verhältnisse extrem hohen Fagottsolos an war Gelächter zu hören, das dann in Tumult überging. Es war der stoischen Ruhe des Dirigenten Pierre Monteux zu verdanken, dass die Aufführung überhaupt zu Ende gespielt werden konnte. Die Vorgänge wurden in vielen Augenzeugenberichten festgehalten, unter denen die von Igor Strawinski selber und von Jean Cocteau immer wieder zitiert werden. Die stürmische Entrüstung hielt an, sodass das Spektakel eine Woche nach der Premiere der New York Times einen Artikel mit dem Titel „Die Pariser pfeifen das neue Ballett aus / Letztes Opfer des russischen Tänzers: ‚Das Frühlingsopfer‘, ein Reinfall“ wert war. ...
„Die Bühne repräsentierte die Menschlichkeit. Rechts pflücken starke junge Leute Blumen, während eine 300 Jahre alte Frau wie wahnsinnig herumtanzt. Am linken Bühnenrand studiert ein alter Mann die Sterne, während hier und da dem Gott des Lichtes Opfer gebracht werden. Das konnte das Publikum nicht schlucken. Es pfiff das Stück umgehend aus. Vor einigen Tagen hätte es vielleicht applaudiert. Die Russen, die nicht besonders vertraut mit dem Anstand und den Gepflogenheiten der Länder sind, die sie besuchen, wussten nicht, dass die Franzosen ohne weiteres anfangen zu protestieren, wenn die Dummheit ihren Tiefstpunkt erreicht hat.“
Die Times macht Capus für die über mehrere Vorstellungsabende anhaltenden Proteststürme verantwortlich; er habe die Stimmung aufgeheizt. Igor Strawinski - hier erstmals in der amerikanischen Tageszeitung überhaupt erwähnt - sagte, der Aufstand sei ein schwerer Schlag gegen das Stück, und die sensiblen russischen Tänzer seien möglicherweise außer Stande, die Vorstellungsreihe fortzusetzen.
– New York Times: Igor Strawinski, Ausgabe vom 8. Juni 1913
Auch wenn der Skandal Strawinski endgültig zur Berühmtheit machte, verletzte ihn die Reaktion sehr, und er gab nicht zuletzt Vaslav Nijinsky die Schuld, der in seinen Augen den Sacre choreografisch nicht bewältigte. Der große Erfolg, den das Werk dann in der konzertanten Aufführung ebenfalls unter Pierre Monteux 1914 hatte, scheint Strawinski auch recht zu geben

CF.

 

John Neumeiers erotisches Frühlingsopfer

Neumeiers "Le Sacre" in Hamburg wieder auf der Bühne

von Christian Fürst, nmms

 

Als der Tänzer und Choreograph John Neumeier vor genau 40 Jahren seine Bearbeitung von Strawinskis "Le Sacre du Printemps" (Die Frühlingsweihe) in Frankfurt auf die Bühne brachte, sprach so mancher von "Skandal". Der junge Neumeier hatte eine Solotänzerin für den letzten, ekstatischen Auftritt völlig unbekleidet auf die Bühne geschickt. Die nicht mehr zu überbeitende musikalische Dramatik des Werks ließ keine andere Steigerungsmöglichkeit mehr zu, erläuterte der US-Amerikaner.

Jetzt steht eine völlig andere Generation von Tänzern auf der Bühne, doch Neumeiers "Le Sacre" hat absolut nichts von seiner Attraktivität und Spannung verloren. Nach wie vor verlangt die Choreographie den Tänzern alles ab, und auch für die Musiker des Hamburger Opernorchesters ist das "Sacre" eine Herausforderung.

Neumeier schreibt über seine Choreographie des "Frühlingsopfers":

"Mein Ballett beschreibt vom ersten, einfachen Gehen der Tänzer auf der Bühne den Schritt von ursprünglicher menschlicher Harmonie hin zur Katastrophe, vom Tag in die Nacht, vom Licht ins Dunkel. Nach der Konfrontation mit dem Tod führt der Weg von Verdacht über Aggression und blinde Zerstörungswut zu einem Kampf aller gegen alle, Wahnsinnsausbrüche münden schließlich in einen letzten Verzweiflungsschrei".

Dabei bleibt der Vorstellungskraft des Betrachters genügend Raum zur fantasievollen Interpretation. Strawinskis gewaltige Musik "trägt" die Tänzer förmlich, führt sie von einer Ekstase zur nächsten. Menschliche Interaktionen sind selten auf zwei Personen beschränkt. Immer wieder treten sie in Gruppen auf, gespenstisch beleuchtet oder durchleuchtet werden sie selbst zu leuchtenden Fackeln.

 

 

 

Neumeiers "Hamburg Ballett" gehört heute unbestritten zu den bestens Ensembles der Wel. Aus der Distanz von 40 Jahren (ich sah die Uraufführung in Frankfurt) könnte man meinen, die Frankfurter Tänzer hätten das Stück noch eine Spur kraftvoller und fast brutaler aufgeführt und die Körperlichkeit der Liebe - auch der gleichgeschlechtlichen - noch exzessiver ausgelebt.

 

 

 

"Le Sacre du Printemps" wird vom Hamburger Ballettchef nicht umsonst in unregelmäßigen Abständen wieder ins Programm seines Ensembles aufgenommen. Es gilt zurecht als einer DER Klassiker der modernen Ballettgeschichte, in der Neumeier, der in diesem Jahr 70 wurde, schon heute einen bedeutenden Platz einnimmt.

Zusammen mit "Le Sacre" führt das Hamburg Ballett in der laufenden Saison  auch seine Choreographie von "Le Pavillon d'Armide" auf. Beide Werke sind unter dem Titel "Nijinsky-Epilog" dem Leben und Werk des Ausnahmetänzers Vaslaw Nijinsky gewidmet, dessen  Choreographien noch handfeste Skandale auslösten. Davon sind Neumeiers Gegenstücke inzwischen weit entfernt.

 

Alle Bilder und Texte copyright Christian Fürst, 2012