Liliom: Erfolgreiche Neumeier-Uraufführung in HH
Armut, Liebe und Gewalt: "Liliom" - Uraufführung des Hamburg Balletts
von Christian Fürst, nmms
John Neumeier, seit nunmehr 36 Jahren Ballettchef in Hamburg, hat in diesem Jahr mit seinem Mahler-Stück "Purgatorio" bereits einen beachtlichen Erfolg beim Publikum und der Kritik erzielt. Mit der aufwändigen Uraufführung von "Liliom" nach dem gleichnamigen Roman von Ferenc Molnar ist ihm dies zumindest beim begeisterungs-fähigen Hamburger Ballett-Publikum gelungen. Die Kritik reagierte dagegen skeptisch. Zu Broadway-haft, zu sentimental fanden die Experten Neumeiers Interpretation. Einhellig dagegen waren sich die Kritker in der Beurteilung der Akteure auf der dunklen Bühne: Hier tanzte eines der weltbesten Ensembles in absoluter Höchstform.
Julie bedeckt den Leichnam ihres Geliebten Liliom mit der Tischtuch der Hochzeitstafel
Neumeier verlegte die ursprünglich in Budapest spielende Handlung von "Liliom" in die USA der wirtschafts-depressiven 1930er Jahre. Liliom (Carsten Jung) arbeitet als Karusell-Ausrufer, der in seiner Liebe zwischen Julie (Gast-Tänzerin Alina Cojocaru) und der Karusell-Besitzerin Frau Muskat (Anna Politkarpova) hin und hergerissen ist. Anders als sein Musical-Vorgänger Richard Rodgers ("Carousel") vor 65 Jahren betont Neumeier in seiner Interpretation des Romans den sozialen Aspekt der Geschichte. Der stets zur Gewalt neigende Liliom verliert seinen Job und gerät bald darauf auf die schiefe Bahn. Am Ende nimmt er sich das Leben.
Liliom ist zwischen den beiden Frauen Julie und Frau Muskat hin- und hergerissen
Bigband und Sinfonieorchester
Für die musikalische Ausgestaltung gewann John Neumeier den französischen Erfolgskomponisten Michel Legrand, der den Choreographen Neumeier durch seine komplexe Komposition gleich vor mehrere Schwierigkeiten stellte. Schließlich wurde das fast zweieinhalb-stündige Ballett für zwei Orchester komponiert. Im Graben das sinfonische Staatsopernorchester und auf einem Podium über der Bühne die Bigband des Norddeutschen Rundfunks, die für den "Broadway"-Teil des Balletts zuständig war, gelegentlich aber zusammen mit dem Opernorchester unter der gemeinsamen Leitung von Simon Hewitt musizieren. Dass hier vor allem zu Beginn zahlreiche Anklänge etwa an Leonard Bernsteins Musical-Musik zu erkennen waren, störte die kritik, doch die Neumeier-Fans umso weniger.
Bunte Luftballons, getragen vom Luftballonmann in Pantomimengestalt, symbolisieren Freiheit - Im dunklen Hintergrund die NDR-Bigband
Berührende Szenen, für manche Kritiker zu rührselig. Doch immer großartig interpretiert vom hervorragenden Ensemble mit seinen Ausnahmetänzern
Neumeier und Legrand gelingt es im Verlauf des Abends einen zunächst allerdings nur schwer erkennbaren Spannungsbogen zu spannen. In der tat empfindet man das Ballett zunächst als zu Broadway-lastig. Schau-Elemente, Artisten, viel scheinbar sorglose Fröhlichkeit überwiegen. Doch dann entwickelt Neumeier die Dreicksbeziehung des Super-Machos Liliom (Carsten Jung) mit der zerbrechlichen und zärtlichen Julie (Alina Cojocaru) und der selbstbewussten und fordernden Frau Muskat (Anna Polikarpova). Ein musikalischer Höhepunkt dann die Szene vor dem geschlossenen Arbeitsamt, vor dem auch der inzwischen arbeitslos gewordene Liliom ansteht. Sie wird von dröhnenden Trommelwirbeln mehrerer Schlagzeuger begleitet. Die Tänzer beweisen - nicht nur hier - schauspielerisches Talent.
Massenarbeitslosigkeit in den USA - Liliom und die anderen fliehen vor der Gewalt der Staatsmacht
Julie und Söhnchen - "zu viel Gefühlsduselei" bemängelten fast alle Kritiker
Voller Spannung zunächst auch die Hochzeitsszene im zweiten Teil, auf der plötzlich Liliom erscheint, um seine Geliebte Frau Muskat zu entführen. Der Überfall scheitert und Liliom tötet sich. Spätestens hier überzieht Hamburgs Chef-Choreograph nach Meinung seiner Kritiker (auch im Publikum) das Maß der Rührseligkeiten. Für einen sehr einfühlsamen Pas des deux mit Julie lässt Neumeier seinen Protagonisten für kurze Zeit wieder auferstehen. Später dann kommt Julie mit dem kleinen Sohn Lilioms auf die Bühne, und während der Kleine Tanzschritte übt, guckt Papa aus dem hellblauen Himmel zu und ergreift den rosanen Luftballon, den ihm der Kleine schickt.
Diese sentimentalen Ausreißer veranlassten immerhin die Kritikerin der "Frankfurter Allgemeinen" zu einem weitgehenden Verriss der Uraufführung. Doch auch sie konnte nicht umhin, die überragende Leistung der Tänzer zu preisen, die die überwältigende Mehrheit der anwesenden Ballettfans für die Unstimmigkeiten der Choreographie und Dramaturgie des Stückes mehr als entschädigte.
Alle Bilder und Texte copyright Christian Fürst 2011