Drei Sterne

Prodigy: Nun leuchten drei "Fehling-Sterne" über Hamburg

  

 "The Table" Shanghaiallee 15 D-20457 Hamburg

Es scheint ihm in die Wiege gelegt worden zu sein, mit Michelin-Sternen zu spielen und zu jonglieren, wie andere Menschen mit Skateboard und Handy. Vor einem Jahr erschien sein erstes Buch "Prodigy", frei als "Wunderkind" übersetzt, und in diesen zwölf Monaten erbrachte der jugendliche Küchenmeister nachhaltig den Beweis, dass ihm dieser Titel zu Recht zusteht. Kevin Fehling, der sich im "Belle Epoque" in Travemünde in nahezu rasender Geschwindigkeit von Null an die Spitze deutscher, ja europäischer Gourmandise gekocht hatte, gab im Sommer den heimischen Herd unter dem beschützenden Dach des Columbia-Hotels auf und machte sich auf den Weg in die große Hansestadt an Elbe und Alster. Ein eigenes Restaurant sollte es sein und sein kongenialer Sommelier und Chef de Service, David Eitel, sowie nicht wenige Mitarbeiter/Innen aus Service und Küchenbrigade gingen mit. Als Standort wählte Fehling die Shanghaiallee in einer der schöneren Ecken der nicht unbedingt durch architektonische Wunder glänzenden Hafencity. Nomen est omen - "The Table" heißt der neue Gourmettempel und "Der Tisch" ist es, denn an einem einzigen geschwungenen tresenähnlichen Tisch hocken zwanzig Gäste und schauen dem Meister und seiner Brigade beim Zubereiten des einzig angebotenen Menüs zu.

 

Entsprechend der Neugier war und ist die Buchungssituation. Plätze auf den wohl begehrtesten Barhockern der Nation sind extreme Mangelware. Nur wenig mehr als drei Monate köchelte Kevin Fehling vor sich hin, offenbar wohl beäugt von der Konkurrenz und den Testessern vom Guide Michelin und dem Gault Millau, um die Wichtigsten zu nennen. Und was auch AP für kaum möglich gehalten hatte, Fehling ist es gelungen: Am Mittwoch wurden ihm erneut drei Sterne verliehen - aus dem Stand sozusagen.   Ein Phänomen, das nicht nur für Fehlings Können als Koch spricht, sondern auch seinen Riecher als Geschäftsmann in den Bereich der Supersensorik rücken läßt. Das "The Table" ist nunmehr das einzige "Drei Sterne" Restaurant in einer deutschen Metropole, die sich weiterhin auch mit drei Zwei-Sterne-Etablissements und mehreren Ein-Sterne-Restaurants, darunter neu aufgenommen das liebenswerte "Trüffelschwein" im Ortsteil Winterhude, schmücken darf. Mit einem kleinen Dämpfer muss "Mister Prodigy" leben, denn deutlich zurückhaltender als der Guide Michelin zeigte sich der Gault Millau und vergab erstaunlicherweise "nur" 17 von 20 möglichen Punkten - ein für Fehling möglicherweise enttäuschender Platz in der zweiten Reihe. Aber das wird der "sunny boy" der Kochelite wegstecken.  

Von dieser Stelle gehen die herzlichsten Glückwünsche in die Shanghaiallee. AP und Frau freuen sich auf den 21sten November und den Abend im "The Table", vor allem aber auf das Wiedersehen mit Fehling, Eitel and Friends...

 

21ster November 2015

 

Das Warten hat sich gelohnt. Es war eiskalt am Abend des 21sten November und regnerisch, der Weg zum Restaurant "The Table" alles andere als einladend. Die Shanghaiallee war wegen Teerarbeiten gesperrt, die Großbaustelle völlig unzureichend abgesichert, das Überqueren von Kreuzungen ein Vabanquespiel - Hamburg von seiner schlechtesten Seite. Alles fiel ab, als am Eingang zu Fehlings neuem Zuhause der Hausherr und sein Sommellier und Chef de Service, David Eitel, in bester, ja strahlender Laune, die Gäste willkommen hieß wie alte Freunde. Der fast sechs Meter hohe Raum macht Eindruck, der lange Tisch, auf den man sich nun monatelang hat einstellen können, läßt zunächst schmunzeln. Er sieht eher aus wie die bemühhte, liebenswerte Laubsägearbeit eines Vorschülers denn als Werk eines Designers. Doch, doch - man kann es so machen und als dann nach zwanzig Uhr alle zwanzig Gäste Platz genommen hatten, hatte alles seine Ordnung. Man war sich nah, aber nicht zu sehr. Man kann je nach Sympathiegrad kommunizieren mit den Nachbarn, es aber auch lassen. Der Geräuschpegel geht in Ordnung, wenn auch die Musik vielleicht um einige Dezibel reduziert werden könnten. Störend einzig, dass die Gäste vom äußeren Ende des Tisches den Weg zur Toilette nur zwischen Tisch und Küche nehmen können, damit zusätzlich Unruhe schaffen und auf Kollissionskurs mit den Mitarbeitern sind. Es ist dem vorhanden Platz geschuldet, aber dennoch nicht gerade glücklich gelöst.  Sehr schön ist es, der Brigade zusehen zu können, wie sie mit größtmöglicher Akribie und erkennbar perfekt entwickelten und einstudierten Bewegungsabläufen das Essen fertigt - so man von Essen sprechen mag. Vielleicht, so das Fazit eines Gesprächs mit Kevin Fehling, lassen hier die Struktur der Produktionsstätte und der Arbeitsabläufe sowie der hochentwickelten Küchentechnik zu, dass die Grenzen des bisher Machbaren verschoben werden auf der offenbar nach oben offenen Fehling-Skala.                                                                                                                                             

   

Menü vom 21sten November 2015  

Völlig kompromisslos kommt die Küche daher. Hier gibt es nur ein Ziel: Geschmacksoptimierung bei höchstmöglicher formaler Perfektion. Was in Hamburg geboten wird, hebt sich sogar noch von dem ab, was Fehling bereits in Travemünde bot. Dass die Optik von angenehmer, moderner Ästhetik geprägt ist ohne modernistisch zu sein versteht sich fast von selbt bei Drei Sternen. Dass es aber möglich sein könnte, Geschmack derart weiter zu raffinieren, dass man meint, auf einem anderen Stern zu sein, auf dem die Sinne sich aufblähen können in übergroße Sensoren-Segeln, die jede aber auch jede Nuance erfassen können, die der Koch vorlegt - das ist Kunst, große Kunst. Das beste Beispiel für diesen sensiblen Umgang mit dem Ausgangsmaterial zeigt sich für AP bei der Jakobsmuschel "Wiener Art". Wie hier Minimalismus groß geschrieben wird bei Muschel und Co. ist kaum nachvollziehbar. Millimeter kleine Würfelchen von Panade sind auf dünnen Scheiben der Muschel drapiert - und schmecken nach Wien wie es auch nach Gurkensalat anmutet.

Die Gänseleber wurde auf Wunsch durch Tatar von der Riesengarnele ersetzt. Die verwendete Gänseleber, so Kevin Fehling, käme aus den Niederlanden und würde nicht auf die übliche, in Frankreich gängige Tierquälerei, gestopft. Die Gänse in NL seien so gezüchtet, dass sie sich selbst eine Fettleber anfressen würden. Hier ist sie also: Die sich aufopfernd selbststopfende Gans im Dienste der internationalen Gourmandise, quasi die "Eierlegende Wollmilchsau"...

Wundertüte mit Lavendel, Blaubeeren, Sternanis & Kardamom

(Aufnahme mit dem iPhone4)

Die Beschreibung eines solchen Abends wäre unvollständig ohne einen Blick auch auf die linke Seite der Menükarte zu werfen. David Eitel, sozusagen die andere Hälfte von Kevin Fehling scheint sich mit der selben Leidenschaft, hohem Wissen und enormer Erfahrung in die Weinwelt Europas vergraben zu haben, bevor er den Fahrplan für die Weinreise trinkreif hatte, die man bei Fehling in seinem Metier findet. Seine Lieben sind offenkundig überwiegend in Frankreich und Deutschland zu finden und dort abseits ausgetretener Pfade, großer Namen und allzu bekannter Geschmacksrichtungen. Beispiel: Zur ersten Nachspeise "Dattel mit Lorbeereis, Safranperlen, Kumquat & Hummuschreme" reichte Eitel einen Wein aus der Gascogne, bei dem Gärung mit Armagnac unterbrochen wurde, ein durchaus in Spanien und Portugal gebräuchliches Verfahren. Was da im Glas schwabbte, sah trübe und nicht unbedingt einladend aus und hatte große Ähnlichkeit mit Rauscher, dem in Gärung befindlichen Apfelwein, in der Nase Anklänge an Sherry. Zu der Dattel ganz wunderbar, wie ein Sauternes zur Gänsestopfleber... aber das hatten wir ja bereits.

 

copyright Andreas Pawlouschek, nmms November 2015

Auf zu neuen Ufern - von der Trave an die Elbe

 

  Kevin Fehling

Er kocht auf allerhöchstem Niveau dort, wo die Trave in die Ostsee mündet und das Seebad entsprechend auch Travemünde heißt. Kevin Fehling, noch keine vierzig Jahre jung gehört zur kleinen Riege der deutschen Köche, die in der Gourmetbibel Michelin mit drei Sternen gekürt sind. In knapp zehn Jahren hatte sich Fehling zielstrebig einen nach dem anderen Stern erkocht und eigentlich könnte es so weitergehen - meint der unbedarfte Bewunderer seiner Kochkunst, als den sich AP gerne zu erkennen gibt. Nun steht fest, Fehling und sein kongenialer Restaurantleiter und Sommelier, David Eitel, verlassen das gastliche Columbia Hotel an der Kaiserallee, und ziehen an die Elbe. Und fast die gesamte Küchenbrigade und viele Servicemitarbeiter werden wohl mitgehen. Folgte das "La Belle Epoque" noch dem klassischen Muster, Toprestaurant schlupft unter die Hoteldecke, so soll für Fehling und Team in Hamburg alles anders werden: ohne Sponsoren soll der Sprung ins kalte unternehmerische Wasser gelingen. "Ein neues Konzept", so David Eitel gegenüber NewsAndMore,  soll "mehr Offenheit und Lockerheit" bringen. Das liegt im Trend, denn viele Sterne-Restaurants gelten als zu förmlich, zu steif, als dass sie auch für eine jüngere Klientel attraktiv wären. Es mag sein, dass die Motivation für Kevin Fehling, den früheren "Schiffskoch" auch in dem nachvollziehbaren Drang begründet liegt, Neues machen zu wollen und das Neue auch Anders. Wer in diesem Alter alles erreicht zu haben scheint, was erreichbar ist im Bereich Gourmandise, und wer wie Fehling voller Kreativität und Tatendrang ist, der kann sehr wohl auf die Idee kommen, an der Travemündung ausgereizt zu haben was es auszureizen gibt. 

        

"La Belle Epoque" Beispiele aus der Sektion "Appetizer"

An Alster und Elbe haben es immerhin bereits drei Küchenchefs zu je zwei Michelin-Sternen gebracht: Christoph Rüffer im "Haerlin" an der Außenalster, Karlheinz Hauser vom "Seven Seas" hoch über der Elbe auf dem Süllberg bei Blankenese sowie Thomas Martin in "Jacobs Restaurant" gegenüber der Airbus Werft. Sie alle kochen ganz exzellent und streben, wenn auch nicht so recht offiziell, nach dem dritten Stern, den die einschlägige Presse gerne herbeischreibt. Und nun kommt einer, der ihn schon hat, aber nicht notabene auch mitnehmen kann in sein neues Domizil. Auszeichnungen sind beim Michelin nicht nur mit der Küche verbunden sondern auch mit anderen wichtigen Faktoren wie Weinkeller, Service und Ambiente. Dass Fehling alle Voraussetzungen schaffen wird, damit dies auch in Hamburg gelingt, daran hat AP keine Zweifel. Ob allerdings der Blick aus den Fenstern des neuen Restaurants so schön sein wird, wie  aus dem "La Belle Epoque", mag bezweifelt werden. Und so wird AP immer auch ein wenig wehmütig an die Fahrten nach Travemünde zurückdenken. Nachzutragen sei an dieser Stelle: das Neue hat noch keinen Namen. Tipps werden angenommen. "Fehling" ist zwar einfach, aber auch schon verwettet. 

Das Geheimnis ist gelüftet. Das neue Restaurant in der wenig charmanten Hamburger Hafencity heißt "The Table Kevin Fehling" Man darf wirklich gespannt sein, welche Klientel sich von dieser Art Ambiente und Esspräsentation  ansprechen läßt. Hier können Sie einen ersten Blick erhaschen: http://www.the-table-hamburg.de/ Das "La Belle Epoque" in Travemünde schließt Ende Juni.


Einen Bericht über Kevin Fehling und das "Belle Epoque" finden Sie hier.

Text und Bilder copyright Andreas Pawlouschek, nmms 2015